Hinter verschlossenen Türen
recht unterrichtet bin.
Fräulein Farley war ein unbescholtenes, alleinstehendes Mädchen; ich hätte es mir nicht verziehen, wenn sie durch allzuviele Aufmerksamkeiten meinerseits ins Gerede der Leute gekommen wäre. Meine Gefühle waren ihr nicht unbekannt, und ich wartete vertrauensvoll auf ihre Entscheidung.
So können Sie uns nicht sagen, warum das Fräulein oft bis tief in die Nacht hinein auswärts war?
Nein, aber wahrscheinlich geschah es in Geschäftsangelegenheiten. Viele ihrer Kundinnen wohnten weit entfernt in der oberen Stadt.
Können Sie die Namen derselben angeben?
Nein.
Nicht einen einzigen?
Nein, wiederholte der Doktor mit gerunzelter Stirn.
Nur noch eine Frage: Wissen Sie, wo sich Fräulein Farley während der letzten Tage aufhielt, bei wem sie zu Besuch war?
Sie hat mir darüber nichts mitgeteilt, und ich habe mich nicht danach erkundigt.
Aber, welchen Poststempel der Brief trug, den Sie am Morgen ihres Todes erhielten, werden Sie uns angeben können.
Er kam nicht mit der Post, sondern durch einen besonderen Boten des C-Hotel, wo sich das Fräulein schon befand, als sie ihn schrieb.
Damit war Doktor Molesworths Verhör zu Ende. Wie klar und bestimmt aber auch seine Antworten gelautet hatten, wie glaubwürdig seine Zeugenaussage schien, den Detektiv konnte er nicht überzeugen; dieser beharrte nach wie vor bei seinem Argwohn und wartete mit Zuversicht darauf, daß die öffentliche Bekanntmachung der Verhandlung noch weitere Aufklärung bringen werde. Aber die Tage vergingen, die gerichtliche Untersuchung ward geschlossen, das Urteil der Geschworenen verkündigt, und kein neuer Zeuge ließ sich blicken. Länger als sonst wohl geschieht, fuhren die Zeitungen fort, den Fall zu besprechen. Sie brachten auch den Abdruck eines Bildes, das in Frau Olneys Wohnzimmer von der Leiche aufgenommen worden war; ein Bild, das Mildred bei Lebzeiten darstellte, ward nicht veröffentlicht, Gryce hatte dies hauptsächlich aus Rücksicht für Doktor Kameron unterlassen, dem er schon einmal so unnütze Aufregung bereitet. Mildreds Aehnlichkeit mit Genofeva Gretorex, Kamerons jetziger Frau, war so groß, daß Gryce füglich die Photographie derselben, die noch in seinem Besitz war, hatte benützen können, er war aber viel zu feinfühlend, um sie für Mildreds Bildnisauszugeben, obgleich dadurch die Neugier des Publikums befriedigt, und sein eigener Zweck gefördert worden wäre.
Abermals verging eine Woche, aber erst die darauffolgende brachte etwas Neues, Eines Morgens ward Gryce in seiner Wohnung von einem Fremden aufgesucht, der ihm mit wichtiger, geheimnisvoller Miene einen Zettel einhändigte. Dieser war von dem Polizeiinspektor und enthielt die Worte:
»Hören Sie, was der Ueberbringer Ihnen zu sagen hat, es wird Sie interessieren.«
Gryce betrachtete den fein gekleideten jungen Herrn aufmerksam und fragte nach seinem Namen und Begehr. Er gab sich als Sohn einer alten, ehrenwerten Neuyorker Familie zu erkennen, die zur besten Gesellschaft gehörte. Sodann begann er:
Es hat vor einiger Zeit eine gerichtliche Untersuchung stattgefunden, wegen einer gewissen Mildred Farley, die an Gift gestorben ist.
Gryce nickte bejahend; er hielt den Blick fest auf seines Besuchers Uhrkette mit Petschaft und Siegelring geheftet; von der außergewöhnlichen Spannung, in welcher er sich befand, war nichts zu ahnen.
Ich habe den Bericht gelesen, fuhr der junge Herr fort. Eine der Angaben des Hauptzeugen war falsch.
Wirklich – lassen Sie doch hören!
Sie erinnern sich, daß er das junge Mädchen auf den Türstufen eines Hauses in der 22. Straße sitzen fand, sie aufhob und in den Wagen trug, wobei ihr ein Fläschchen aus der Hand fiel und auf dem Straßenpflaster zerbrach. Da nun in diesem Fläschchen das Gift, die Ursache ihres Todes, enthalten war, ist es gewiß von Wichtigkeit, genau zu erfahren, was damit vorgegangen ist.
Ohne Zweifel!
Nun, ich kann darüber Auskunft geben, da ich an Ortund Stelle war. Die Sache verhielt sich so: ich hatte dort im Hause einen Besuch gemacht und wollte mir zum Heimweg eine Zigarre anzünden. Draußen war es windig, ich stellte mich daher hinter die halboffene Haustür. Da hörte ich Rädergeroll und gleich darauf ein Klirren, wie von Glas, das auf einem Stein zerbricht. Neugierig sah ich hinaus und bemerkte einen Doktorwagen, der eben am Hause vorbeifuhr. Er hatte nicht angehalten, und niemand war von den Stufen aufgehoben worden, die Treppe war leer, davon hatte ich mich kurz
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