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Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
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vorher überzeugt. Beim Hinausgehen trat ich auf die Scherben des Fläschchens und nahm einen starten Geruch wahr, wie von bittern Mandeln.
    Das ist allerdings ein merkwürdiger Umstand, versetzte Gryce; ich bin Ihnen sehr verbunden, Ihr Zeugnis wäre uns freilich noch willkommener gewesen, hätten Sie es früher abgelegt.
    Ich will Ihnen sagen, warum ich dies versäumt habe, entgegnete jener offenherzig. Ich bin nicht gewohnt, mit der Polizei zu verkehren, und empfand naturgemäß große Abneigung, mich in die Angelegenheit zu mischen. So ließ ich sie auf sich beruhen. Aber ich hatte Gewissensbisse und beschloß endlich, dem Polizeiinspektor Bericht zu erstatten. Der hat mich zu Ihnen geschickt.
    Also, das ist der Sachverhalt. Schon gut, nur möchte ich Sie bitten, nicht weiter davon zu reden und das Geheimnis zu wahren.
    Leider geht das nicht mehr an. Ich habe bereits mit einigen Bekannten darüber gesprochen. Sie waren es gerade, die mich darauf aufmerksam machten, daß durch mein Schweigen Unheil entstehen könne. Aber von nun an will ich gegen jedermann reinen Mund halten.
    Sie tun uns damit einen Gefallen, bemerkte der Detektiv.Sobald sich der Besucher entfernt hatte, begab sich Gryce zum Polizeiinspektor, mit welchem er eine längere Unterredung pflog. Noch am selben Tage suchte er Doktor Molesworth in seiner Wohnung auf und zwar zu einer Stunde, in der er gewiß sein durfte, ihn zu Hause zu treffen.
    In der Tasche trug er einen Verhaftsbefehl.
Zweites Buch.

Zehntes Kapitel.
    Ein viereckiges, düsteres Gemach mit zwei trüben Fenstern, die auf eine hohe Backsteinmauer hinausgehen; ein großer Tisch, der mit Flaschen und Kolben, Kasten voll Instrumenten, Schreibmaterial und Büchern bedeckt ist, ein Roßhaarsofa nebst zwei Stühlen, ein abgenützter Teppich, eine rauchgeschwärzte Zimmerdecke; hell und freundlich nur das knisternde Kohlenfeuer im Kamin; diesem gegenüber die ernste, unbewegliche Gestalt eines Mannes, der in tiefe Gedanken versunken dasitzt. So sieht es in Julius Molesworths Arbeitszimmer aus, an diesem für ihn so denkwürdigen Tage.
    Es ist das Sprechzimmer, zugleich auch Wohn- und Schlafgemach des finstern, verschlossenen Mannes, das einzige Daheim, das er sein eigen nennt. Hinten in der Ecke lehnt ein zusammengeklapptes Feldbett. Vier kahle Wände ohne jeglichen Schmuck und Zierat. Was kümmert sich ihr einsamer Bewohner um solchen Tand? Er besitzt kein Geld für die kleinen Zierden des Lebens, wenn er überhaupt Geschmack daran fände. Etwaige Erinnerungszeichen aus den schönen Händen dankbarer Patientinnen, oder bewundernder Freundinnen, nimmt er wohl mit kühler Höflichkeit in Empfang, aber nicht um sie zu bewahren.Bei erster Gelegenheit wirft er sie als lästigen Plunder ins Feuer; er mag kein Zeugnis weiblicher Schwäche in feiner Nähe dulden. Nur die Stärke des Weibes erringt seine Hochachtung.
    Unter den Büchern, welche die Bretter des altmodischen Gestells am andern Ende des Zimmers nur spärlich füllen, befindet sich auch, als einziges nicht medizinisches Werk, eine Bibel, auf deren Titelblatt in kräftigen Schriftzügen von Frauenhand folgende Zeilen stehen: »Dulde Armut, Hunger, Kälte, Mangel und Entbehrung, aber führe alles durch, was Du einmal unternommen hast und strebe bei Deinen Leistungen stets bis zur höchsten Stufe.«
    Es war die Bibel seiner Mutter, welche die Worte für ihren Sohn geschrieben hatte. Er liebte diese Mutter, obwohl er ihr nie eine Liebkosung gespendet, seit er kein Knabe mehr war. Ihre Worte waren der Wahlspruch seines Lebens geworden, die Summe seiner Kämpfe, seiner Erfahrungen.
    In tiefem Sinnen sitzt Doktor Molesworth in seinem Zimmer. In seinen unregelmäßigen, aber ausdrucksvollen Gesichtszügen scheint sich eine geheime Furcht oder Hoffnung zu bergen; unbeweglich sitzt er da, der Mann mit dem kraftvollen Körperbau, den bartlosen Wangen, der großen, nicht unschönen Nase, den dunkeln Brauen, den zusammengepreßten Lippen, die jeder weichen Regung spotten. Seine Augen sind halb geschlossen; in diesen aber liegt seine fesselnde Gewalt; selbst jetzt leuchtet ein Strahl unter den Lidern hervor, der für empfängliche weibliche Gemüter unwiderstehlich sein könnte, nicht zärtlich, nicht geistsprühend, aber der sonst so unschönen Erscheinung eine magnetische Kraft verleihend, wie sie mancher Adonis nicht besitzt. Wer aber diesem Banne verfällt, tut dies auf eigene Gefahr. Das Wesen des Mannes selbst wirkt eher abstoßend als

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