Hinter verschlossenen Türen
nachdenklich.
Also selbst die Entdeckung, daß meine Frau die Schwester des Mädchens war, das in ihrem Zimmer starb, genügt Ihnen nicht als Beweis, daß sie an ihrem Tode unschuldig ist? fragte Kameron leidenschaftlich.
Ihr Selbstmord erscheint dadurch etwas weniger unwahrscheinlich, entgegnete Gryce; die Schwester konnte eher mit dem Inhalt von Fräulein Gretorex' Schmuckkasten bekannt sein, als die arme Näherin. Aber –
Vollkommen befriedigt find Sie doch nicht, fiel der Doktor ein, wie leicht sich auch der Selbstmord erklären läßt und wie schwer es ist, einen Beweggrund für den Mord zu finden.
Ich wäre nur zu froh, wenn mir jeder Zweifel genommen würde, schon damit ich Sie aus dieser peinlichen Lage befreien könnte. Um Ihnen dies zu beweisen, bin ich bereit, den Fall im einzelnen mit Ihnen durchzusprechen. Halten Sie zum Beispiel die Angst, welche das Haar Ihrer Gattin in einer Nacht gebleicht hat und sie bei dem Verhör bewußtlos zu Boden sinken ließ, dadurch genügend erklärt, daß sie fürchtete, Sie könnten die wahren Familienverhältnisse erfahren?
Der Doktor schwieg, Gryce aber fuhr mit beinahe väterlichem Tone fort: Ich habe bei Erfüllung der Pflichten meines Berufs die Frauen in den verschiedensten Lebenslagen kennen gelernt, habe sie in jeder Gemütsbewegung, in Liebe, in Haß, in Jubel und Verzweiflung gesehen. Sie können bei ihrer leicht beweglichen Natur sich lange verstellen, viel verheimlichen, viel ertragen – unterliegen tun sie erst, wenn sie kein Mittel mehr sehen, ein furchtbares Geheimnis ihres Innern auch ferner in ihrer Brust zu verschließen. Daß Ihre Frau ein solches Geheimnis bewahrt, ist meine Ueberzeugung. Bis ich nicht weiß, ob es damit eine andere Bewandtnis hat, kann ich nur annehmen, daß sie – ob mit oder ohne Absicht – Mildred Farley das Leben genommen hat.
Es ist möglich, daß der Detektiv mit diesen Worten nur den Zweck verband, Kamerons innerste Gedanken zu erfahren. Wenn dem so war, gelang ihm seine Absicht jedenfalls vollkommen.
Der Doktor fuhr unwillkürlich zusammen und rief mit Heftigkeit: So mögen Sie's denn erfahren, und wenn ich darüber auch den letzten Rest von Stolz opfern muß, der mir noch übrig geblieben war. Ich würde sie retten, gälte es auch mein Leben. Um sie zu retten will ich ihr Geheimnis offenbaren.
Sprechen Sie! entgegnete der Detektiv, und seien Sie überzeugt, daß außer mir niemand als der Inspektor darum wissen soll, wenn wir nicht durch die Geheimhaltung unsere Pflicht verletzen.
Kameron warf ihm einen langen Blick zu und sagte mit Nachdruck: Wissen Sie, warum das Mädchen, welches wir durch den Vorhang im C-Hotel beobachteten, meiner Frau so wunderbar ähnlich sah, daß wir eine Täuschung für ganz ausgeschlossen hielten?
Gryce lächelte. Ich habe es Ihnen ja eben mitgeteilt.
Es war Mildred Farley, die Zwillingsschwester Ihrer Frau, die ihr so sehr glich, daß –
Sie irren sich, unterbrach ihn Kameron. Es war nicht Mildred Farley, die wir sahen, es war Genofeva Gretorex selbst, meine Braut, jetzt meine Frau.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Diese Eröffnung kam unerwartet. Gryce fühlte sich seltsam erregt; er hörte auf, den Ring an seinem Finger zu drehen; seine Hand zitterte.
Wirklich? fragte er.
Genofeva Kameron leidet an den Folgen der Torheit, die Genofeva Gretorex begangen hat, fuhr der Doktor in rauhem, hartem Tone fort, als vermöge er nur mit Unterdrückung jedes Gefühls sich der Aufgabe zu entledigen, die ihm oblag. Doch sie hat den Bann gebrochen, der sie gefesselt hielt, denn sie liebt jetzt ihren Gatten und fürchtet nur, er könne ihre frühere Schwäche, ihre verkehrte Herzensneigung entdecken. – Was sie damals aus dem Elternhause trieb und sie fast bis zu der für die Trauung anberaumten Stunde in jenem Hotel verweilen ließ, war nichts anderes, als eine starke, sinnlose, verblendete Leidenschaft für Julius Molesworth.
Das Wort war heraus. Gryce sowohl als Kameron fiel ein Stein vom Herzen. Es blieb nur noch übrig, die Tatsache zu erläutern.
Ihre Geschichte, fuhr der Doktor fort, war die passende Einleitung für die meinige; sie zeigt uns, wie das vornehme Fräulein dazu kam, jenen Mann kennen zu lernen. Sie trafen sich im Olneyschen Hause, am Krankenbett der Frau Farley, ihrer eigentlichen Mutter. Obgleich mit mirverlobt, überließ sie sich doch dem Eindruck, den sein ganzes Sein und Wesen, in mir völlig unbegreiflicher Weise, auf sie ausübte. Sie sah ihn wieder und wieder, ihr
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