Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hinter verschlossenen Türen

Titel: Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kathrine Green
Vom Netzwerk:
Frau Farley ihr verlorenes Kind zum erstenmal wiedersah, habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Ueberhaupt sind meine Nachrichten in dieser Beziehung nur dürftig. Aus ihren Briefen an dieVerwandte geht hervor, daß sie unbefriedigt war und sich in Sehnsucht nach der Tochter verzehrte. Sie muß ihr zu wiederholten Malen begegnet sein, zuweilen auch, wenn sie allein war; die Versuchung, sie anzureden, ist wohl groß gewesen, doch liegt kein Beweis vor, daß sie ihren Schwur damals gebrochen hat. Oft unternahm sie den meilenweiten Gang nach dem Hause Gretorex, bloß um zu den Fenstern emporzuschauen, hinter welchen sie ihr Kind vermutete; einmal sah sie es gerade vor der Tür in den Wagen steigen. Der Anblick überwältigte sie dergestalt, daß sie stöhnend und händeringend dastand, bis die Vorübergehenden auf sie aufmerksam wurden und sich neugierig nach ihr umschauten. Da überkam sie die Angst, und sie floh eilends nach Hause.
    Inzwischen hatte sich Mildred körperlich und geistig immer erfreulicher entfaltet, aber dies genügte der Mutter nicht. Sie liebte sie zwar, sie brauchte ihre Hilfe und verdankte ihr später sogar gänzlich ihren Unterhalt; ihr innigstes Denken und Fühlen aber galt der vornehmen Genofeva, die sie gleichgültig und mit stolzer Miene an sich vorüberschreiten sehen mußte. Sie in ihrer Nähe zu haben, von ihren Lippen das Wort »Mutter« zu vernehmen, dafür hatte sie willig ihr Lebensblut geopfert. – Als beide Mädchen herangewachsen waren, und die eine liebevoll und ohne zu murren Tag für Tag in mühseliger Arbeit jedes Bedürfnis der Mutter zu befriedigen stiebte, setzte diese trotz ihrer schwachen Kräfte und ihrer leidenden Gesundheit noch immer die langen Gänge durch die Stadt fort, bloß um die andere im Glanz der Pracht und des Reichtums zu sehen, der das arme Weib schier geblendet haben muß. Die außerordentliche Aehnlichkeit der Schwestern scheint der Grund gewesen zu sein, warum sie sich auf diesen Wegen niemals von Mildred begleiten ließ, selbst als ihre Schritte schon zu wanken begannen und sie sichhäufig auf den Treppenstufen ausruhen mußte, um neue Kräfte zu sammeln. Ob Mildred das Geheimnis ihrer Mutter gekannt hat? werden Sie fragen. – Höchst wahrscheinlich. Es kommen in den Briefen Andeutungen vor, daß das weniger begünstigte Kind sich zuweilen dagegen aufgelehnt habe, daß ihrer Schwester nicht nur alle Glücksgüter, sondern auch alle Schätze der Liebe zufielen; doch scheint sie in ihrem Fleiß und der treuesten Pflege der Mutter nie nachgelassen zu haben. So kam denn endlich der Tag heran, der die vollständige Wandlung in ihrem Leben bewirken sollte, um schließlich auf noch unerklärte Weise zu dem Trauerspiel zu führen, das wir erlebt haben. Frau Farley brach ihren jahrelang gehaltenen Eid und gab sich Genofeva als ihre eigentliche Mutter zu erkennen. Mildred übernahm dabei die Rolle der Vermittlerin; sie suchte ihre Schwester unter dem Vorwand auf, sie um ihre Kundschaft zu bitten. Ueber die weiteren Ereignisse weiß ich wenig Verbürgtes. Nur ein Brief von Frau Farley ist noch vorhanden, der kurz vor ihrem Ende geschrieben, in abgerissenen Sätzen einer überschwenglichen Freude Ausdruck gibt, daß es ihr endlich vergönnt gewesen fei, ihre geliebte Genofeva ans Herz zu drücken. Bei der Zusammenkunft mit der jungen Näherin, von welcher uns Frau Kameron berichtet hat, wird jene ihr die erstaunliche Mitteilung gemacht haben, welche das vornehme Fräulein bald darauf an das Bett der armen Kranken führte. Im Hause der Frau Olney erinnert man sich noch daran, wie eines Tages eine feingekleidete, dichtverschleierte Dame im Wagen vorfuhr und sich geradeswegs in Frau Farleys Zimmer hinaufbegab unter dem Vorwand, sich ein Kleid anmessen zu lassen. Sie verweilte dort mehrere Stunden, so daß ihr Besuch große Verwunderung erregte. Noch mehrmals während Frau Farleys Krankheit und einmal nach ihrem Tode fuhr der Wagen am Hause vor, aber immer nur auf kurzeZeit. Das müßige Gerede darüber verstummte jedoch allmählich, da die Neugier keine Befriedigung fand.
    Der Detektiv schwieg; sein Bericht war offenbar zu Ende. Kameron raffte sich zusammen, sah den Erzähler an und fragte mit seltsamer Betonung:
    Wissen Sie, ob sie bei den Besuchen, die sie ihrer Mutter machte, je mit Doktor Molesworth zusammengetroffen ist?
    Das war ein ganz neuer Gesichtspunkt. Gryce blickte überrascht auf.
    Wir sind noch nicht am Ende unserer Forschungen, sagte er

Weitere Kostenlose Bücher