Hinter verschlossenen Türen
Gefühl für ihn wuchs zur Leidenschaft, sie vergaß Ehre, Pflicht und ihr gegebenes Wort. Daß die Welt, in der er lebte, von der ihrigen so gänzlich verschieden war, verlieh dem Verhältnis in ihren Augen einen romantischen Schimmer, den kein anderer Mensch darin hätte sehen können. Als dann aber die entscheidende Stunde kam und sie erkannte, was sie alles würde auf sich nehmen und entbehren müssen, wenn sie als Weib des rauhen, schroffen Mannes mit ihm unter dem Druck der Armut lebte – da wich der Zauber.
Aber –
Geduld! Es kommt mir hart genug an, Ihnen diese Mitteilung zu machen; lassen Sie mich fortfahren. – Die einzige Entschuldigung für ihr heimliches, verstecktes handeln liegt in Frau Gretorex' Stolz, hätte ihre Adoptivmutter, statt ihr zu sagen, es sei zu spät, das Verhältnis mit mir abzubrechen, geantwortet, wie es ihre Pflicht erheischte, hätte Genofeva Vertrauen zu mir gehabt, sie würde vielleicht die Wahrheit bekannt haben. Da sie nicht den Mut besaß, dem Tadel der Welt offen die Stirn zu bieten, nahm sie ihre Zuflucht zu wahrhaft unerhörten Mitteln, um an das Ziel ihrer Wünsche zu gelangen. Denn nicht genug, daß sie an unserem Hochzeitstag ihre Hand einem andern Manne reichen wollte, sie hatte auch alle Anstalten getroffen, um mich mit einer Braut zu versehen, welche bereit war, mich an ihrer Stelle zu beglücken. Während eines kurzen Moments sah ich in die strahlenden Augen dieser Braut und mußte glauben, meine eigene Genofeva sei zu mir zurückgekehrt, nur froher und gekräftigter. Wäre nicht eine halbe Stunde, ehe wir zur Trauung schritten, die wahre Genofeva, reuig und bekehrt herbeigeeilt, ich hätte ahnungslos die falsche Braut an denAltar geleitet, zu meinem Unglück und zum Verderben aller Beteiligten.
Das übersteigt ja alle Begriffe, rief Gryce, so etwas ist noch gar nicht dagewesen. Mir wird ordentlich wieder jung ums Herz, es erinnert mich wahrhaftig an –
Er hielt plötzlich inne, als schäme er sich eines Berufseifers, über den er für den Augenblick sein menschliches Mitgefühl vergessen hatte. Aeußerlich blieb er nun ruhig, aber seine Augen glühten wie Feuerfunken.
Daß die zwei sonst so vernünftigen Mädchen, fuhr Kameron fort, durch ihre außerordentliche Aehnlichkeit verleitet, auf einen so törichten und gefährlichen Plan verfallen konnten, läßt sich nur durch die gänzliche Unerfahrenheit der einen und die Verblendung der andern erklären. Letzterer versagte aber der Mut, als es zur Ausführung kam. Von weitem hatte das Beginnen nicht so unmöglich ausgesehen, als jetzt, da es verwirklicht werden sollte. Wahrscheinlich auch, daß durch Molesworth der Sache ein Ende gemacht wurde, die er bei seinem gesunden Menschenverstand nun und nimmermehr gut heißen konnte. Seine Dazwischenkunft wird wohl veranlaßt haben, daß Genofeva so schnell zu ihrer Pflicht und der für ihre Lebensstellung passenden Verbindung zurückkehrte. Dies ist jedoch meinerseits bloße Vermutung; ich urteile nur nach dem Bericht, welchen sie selbst über ihre Gemütsverfassung gibt von der Stunde, da sie Molesworth zum erstenmal gesehen bis zu dem Abend, an welchem sie ihn im C–Hotel erwartete.
Unwillkürlich fuhr Kamerons Hand bei diesen Worten nach seiner Rocktasche. Gryce bemerkte die Bewegung.
Sie haben Papiere? Zeigen Sie her; ich unterrichte mich am liebsten an der Quelle.
Kameron runzelte die Stirn im Unmut über sich selbst; bei näherer Ueberlegung erkannte er jedoch, daß erfrüher oder später seinen Fund doch hätte preisgeben müssen. So zog er denn, ohne zu zaudern, die Papierrolle heraus, die er in dem Sofa seiner Frau gefunden hatte.
Es sind Tagebuchblätter meiner Frau an den bereits erwähnten Herrn, bemerkte er. Sie wurden nicht abgeschickt, sondern sollten wahrscheinlich nach erfolgter Trauung übergeben werden. Der Ehebund ward nicht geschlossen, und ich fand die Rolle, die sie in ihr Elternhaus mitnahm, zwischen den Kissen eines alten Sofas versteckt, das dort früher in ihrem Zimmer stand. Warum sie die Briefe nicht zerstört hat, ist mir unbegreiflich. Möglich jedoch, daß sie ihr als Beleg dienen sollten, wenn jemals die Vorgänge an unserem Hochzeitstag ans Tageslicht kämen.
Gryce nahm die Rolle begierig in Empfang und blätterte darin. Es ist Fräulein Gretorex' Handschrift, kein Zweifel! sagte er, dann begann er zu lesen:
»Ich schreibe, weil ich mich aussprechen muß. An Sie schreibe ich, denn Sie sind der erste Mensch, der meine Seele
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