Hinter verschlossenen Türen
Kameron mit bitterem Lachen, hat durch die Erlebnisse der letzten Tage einen so harten Stoß erlitten, daß ich nicht mehr allzu empfindlich bin; reden Sie ohne Furcht!
Erlauben Sie mir zuerst eine Frage, begann der Detektiv. Als Sie um die Hand des Fräuleins GenofevaGretorex anhielten, waren Sie da bestimmt der Meinung, daß Sie sich um die leibliche Tochter von Herrn und Frau Gretorex bewarben?
Was wollen Sie damit sagen? – Natürlich – ohne Zweifel –
Man hat Sie bei dem Glauben gelassen und Ihnen nicht mitgeteilt, daß sie nur ein angenommenes Kind ist? Zwar geliebt wie ein eigenes und zur einstigen Erbin bestimmt, aber doch nicht mit der Familie verwandt, nicht von ihrem Blute?
Doktor Kameron war sprachlos vor Ueberraschung.
Nun denn, fuhr Gryce fort, so hat man Sie betrogen. Ihre Frau ist als kleines armes Kind von dem Ehepaar Gretorex adoptiert worden und zwar unter Umständen, die eine so strenge Geheimhaltung der Sachlage ermöglichten, daß selbst die nächsten Familienglieder keine Kenntnis davon besitzen.
Kameron stand auf, schritt zum Fenster und starrte einige Minuten in die Winterlandschaft hinaus. Als er zurückkam, erschien er zwar bleich und verstört, aber äußerlich gefaßt. Geben Sie mir nur eine Beruhigung, sagte er. Weiß meine Frau –
Es ging über seine Kräfte. Er sah den Detektiv mit stummer Bitte an.
Ich verstehe, entgegnete dieser, Sie wünschen zu erfahren, ob Ihre Frau um den Betrug wußte. Darauf kann ich Ihnen nicht sogleich Antwort geben. Hören Sie erst die näheren Umstände.
Reden Sie! entgegnete Kameron mit tonloser Stimme. Die unaufhörlichen Schicksalsschläge wirkten zu erschütternd, seine Widerstandskraft war gebrochen.
Gryce schwieg noch einen Augenblick und betrachtete ihn mitleidig, dann begann er in ruhig sachlichem Ton seine Erzählung:
Es sind jetzt zwanzig Jahre her; Philo Gretorex besaß zwar damals schon ein ansehnliches Vermögen, war aber noch nicht eine so allgemein bekannte Persönlichkeit wie heute. So erregte es auch in der großen Welt keine besondere Aufmerksamkeit, als er beschloß, wegen der leidenden Gesundheit seiner Frau eine längere Reise durch Ohio und die Mississippistaaten zu unternehmen. Die Ehegatten hielten sich nach Gefallen wochen-, ja monatelang an den Orten auf, wo es ihnen behagte. So waren sie auch eines Tages nach dem Städtchen M. gekommen; als sie es nach längerer Zeit verließen, nahmen sie ein kleines Mädchen mit, welches sie von da ab unter dem Namen Genofeva für ihr eigenes Kind ausgaben. Das Nähere hierüber erfuhr ich aus dem Munde der Frau, welche bei der Geburt der Kleinen zugegen und auch Zeugin war, wie dieselbe durch die eigentliche Mutter an die reiche kinderlose Dame aus Neuyork abgetreten wurde.
Frau Farley – der Name wird Sie nicht überraschen – befand sich in der äußersten Not. Sie hatte plötzlich ihren Mann verloren und zu gleicher Zeit alle Mittel zum Lebensunterhalt. Aus Mildherzigkeit gestattete man ihr, in dem einzigen Gasthof des Städtchens ihre Niederkunft abzuwarten. Ebendaselbst waren auch Herr und Frau Gretorex abgestiegen. Obgleich die vornehme Dame der armen jungen Witwe nur hier und da auf der Treppe oder im Vorsaal begegnet war, nahm sie doch menschlichen Anteil an ihrem Geschick. Als der bang erwartete Tag kam, erkundigte sie sich mehrmals nach ihrem Ergehen; in der Nacht hörte sie endlich das Kind schreien und ließ sich nicht abhalten, aufzustehen und in Frau Farleys Zimmer zu eilen, das dicht neben dem ihrigen war. Dort bot sich ihr ein unerwarteter Anblick. Die Wöchnerin lag mit wahrhaft schreckensbleicher Miene da, ihre Verwandte aber, welche die Pflege übernommen hatte, hielt ein neugeborenesKind in den Armen und der Doktor ein zweites. Beide Kleinen ließen hilflos die Köpfchen hängen, ganz auf gleiche Weise und sahen sich schon in dieser ihrer ersten Lebensstunde so ähnlich, als sei eines das Spiegelbild des andern. – Zwei Kinder! und das junge Weib wußte kaum, wie sie eines aufziehen sollte.
Irre ich mich nicht, stieß Kameron mit heiserem Ton hervor, so sprechen Sie von meiner Frau und –
Dem armen Mädchen, welches ihr so sehr glich, daß wir beide es für Genofeva Gretorex hielten.
Ein seltsames Lächeln flog über des Doktors bleiche Züge; seine Augen schienen in die Ferne zu schweifen. Weilte er vielleicht im Geiste an dem Lager, wo sein Weib noch immer blaß und regungslos verharrte, wie ein schönes Marmorbild? Wenn nun die Stunde kam und ihr
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