Hinter verzauberten Fenstern
Ärmel.
»Ach, das ist nicht so schlimm!«, beruhigte sie der kleine Mann. »Du darfst nur nicht allzu viel nach unten sehen.«
Julia presste die Lippen zusammen und nickte. Leider hatte sie gerade nach unten gesehen. Die verschneite Erde war furchtbar weit entfernt, und die kahlen Bäume sahen aus, als streckten sie ihre schwarzen, knorrigen Arme nach ihr aus, um sie herunterzuziehen. Wäre da nicht das rostige Eisen unter ihren Füßen gewesen, sie hätte gedacht, dass sie irgendwo zwischen Himmel und Erde in der Luft hing.
»Komm«, sagte Jakobus und begann die scheppernden Stufen hinunterzusteigen. »Ich habe heute extra Schnee gefegt, damit du nicht ausrutschst.«
Julia holte tief Luft und folgte ihm. Das Geländer war so vereist, dass ihre Hand fast daran fest klebte. Sie versuchte, nur auf die Stufen zu blicken. Aber davon wurde ihr schlecht. Also starrte sie auf Jakobus’ schwarzen Mantel.
»Gleich haben wir’s geschafft!«, rief der kleine Mann – gerade als Julia anfing, einen Drehwurm zu bekommen.
Die Treppe führte auf genauso eine Plattform, wie sie bei Jakobus vor der Tür war. Auf der anderen Seite schraubte sie sich weiter in die Tiefe.
»Da sind wir«, sagte Jakobus. Julias Beine fühlten sich an wie aus Gummi.
Die Haustür der Elfen war grün und über und über mit Blumen bemalt. Und an der Klinke hing ein kleines Schild aus Pappe, auf das jemand in Schönschrift ›Herzlich willkommen‹ geschrieben hatte.
»Damit bist natürlich du gemeint«, sagte Jakobus und lächelte. »Ich werde uns jetzt ankündigen, ja?«
Julia nickte. Sie war ziemlich aufgeregt.
»Hallo!«, rief Jakobus und klopfte an die Tür. »Melissa! Rosalinde! Der Besuch ist da!«
»Mome-ent!«, rief eine Frauenstimme von drinnen. Einen Augenblick später flog die Tür auf, und eine kugelrunde, alte Dame blickte ihnen strahlend entgegen. Auf ihrem Rücken flatterten zwei wunderschöne schillernde Flügelchen emsig auf und ab, und ihre winzigen Füße schwebten ein gutes Stück über dem Fußboden.
»Heeereinspa-ziert!«, rief sie und flatterte zur Seite, damit Jakobus und Julia eintreten konnten.
»Guten Abend, Melissa«, sagte Jakobus und hängte seinen Mantel an die Garderobe. »Das ist Julia!«
»Herzlich willkommen.« Melissa schüttelte Julia begeistert die Hand. »Wir freuen uns ja sooo, dass du da bist.«
»Sind alle gekommen?«, fragte Jakobus.
»Natürlich!« Melissa flatterte vor Freude fast bis unter die Decke. »Alle wollen sie sehen und ihre Ankunft feiern. Ach, endlich haben wir mal wieder Grund zu feiern! Nach so vielen traurigen Jahren!«
»Melissa, ist der Besuch schon da?«
Die Tür zum Nebenzimmer hatte sich geöffnet, und herein flatterte noch eine alte Dame. Das musste Rosalinde sein. Sie hatte dieselben durchsichtigen Flügel wie Melissa und dieselben winzigen Füßchen. Aber sie war dünn wie ein Streichholz.
»Melissa!«, zwitscherte sie. Sie hatte ein richtiges kleines Vogelstimmchen. »Melissa, wir sitzen alle da und warten, und du verplapperst dich hier mit unseren Gästen. Das ist typisch!«
»Entschuldigung«, sagte Melissa und flatterte aufgeregt um Julia herum. »Aber ich bin so aufgeregt. Ist sie nicht wunderhübsch?«
Julia bekam einen knallroten Kopf und sah verlegen auf ihre Füße.
»Flatter nicht so um das arme Dinge herum, Melissa«, sagte Rosalinde und trippelte auf Julia zu.
»Ich habe dir schon oft gesagt, du sollst im Haus nicht so viel fliegen.«
»Ja, ja.« Melissa zwinkerte Julia und Jakobus zu. »Ist schon gut. Wie wär’s, wenn du unseren Besuch jetzt erst mal begrüßt?«
»Guten Tag.« Rosalinde gab Julia ihre winzige Hand. »Ich freue mich wirklich sehr.«
»Ich freue mich auch sehr.« Julia versuchte die beiden nicht allzu unhöflich anzustarren. Sie hatte schließlich noch nie eine richtige Elfe gesehen.
»Wuuunderbar!« Melissa fasste Julia an der Hand. »Dann lass uns jetzt endlich hineingehen. Bevor die anderen alle herauskommen.« Und damit flatterte sie auf die offene Tür zu und zog Julia mit sich. Jakobus und Rosalinde folgten. Der Raum, in den sie kamen, war offenbar das Wohnzimmer der Elfen. Zwischen einem Sofa und vielen Sesseln stand ein Tisch, der so voll gestellt war mit Kuchen und Torten, dass für Teller kaum Platz blieb. Überall hingen Girlanden aus Papierblumen, Luftballons und kleine Lampions. Von Julias Zimmer war nichts zu sehen, denn die geblümten Vorhänge vor den Fenstern waren immer noch zugezogen. Überhaupt war in diesem Zimmer alles geblümt –
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