Hinter verzauberten Fenstern
hat?«, fragte Mama ratlos.
»Keine Ahnung«, sagte Julia, »ich hab hier die ganze Zeit gelegen und gelesen.«
»Hast du nicht«, brüllte Olli. Er sah aus, als würde er jeden Moment vor Wut platzen.
»Komm, Olli«, sagte ihre Mutter, »jetzt reicht’s! Das ist nicht mehr lustig. Und du zieh dich aus, Julia. Es ist schon spät.«
»Mach ich«, sagte Julia und grinste Olli zufrieden an.
»Sie lügt! Sie lügt!« Olli stampfte mit dem Fuß auf. »Ich hab überall nachgesehen, Mama! Sie war weg!«
»Na, und wo sollte sie deiner Meinung nach gewesen sein?«, fragte Mama ungeduldig. Ihr Bruder sah zum Kalender hinüber. Julia rutschte vor Schreck das Herz in die Hose.
»Keine Ahnung«, knurrte Olli und sah Julia böse an.
»Na gut, dann Schluss jetzt mit dem Zirkus!«, sagte Mama. »Runter in dein Bett mit dir.«
Mit finsterer Miene drehte Olli sich um. »Sie war aber doch weg!«, murmelte er.
Mama zuckte die Achseln und zwinkerte Julia zu. Dann schloss sie hinter sich die Tür.
Puuuh! Julia atmete erleichtert auf. Das war knapp gewesen. Sie blickte zum Kalender. Jakobus blickte erstaunt aus dem Küchenfenster. Julia winkte ihm zu. Er lächelte und winkte zurück. Ach, was für ein wunderbares Geheimnis, dachte Julia. Und dann ging sie hinunter ins Badezimmer.
8. Kapitel
Die nächsten drei Tage waren furchtbar langweilig. Hinter dem vierten und dem fünften Kalenderfenster waren nur geblümte Vorhänge – wie Jakobus vorhergesagt hatte. Und als Julia am Nikolausmorgen das sechste Fenster öffnete, hing vor dem Vorhang nur eine Girlande aus Papierblumen. Das war alles.
Das einzig Gute daran ist, dass Ollis Interesse an dem Kalender dadurch anscheinend ein bisschen nachließ.
Wenn sie doch wenigstens Jakobus hätte besuchen können! Aber sein schwarzer Mantel war ständig verschwunden, und seine Wohnung blieb abends dunkel.
Am Nikolausabend bekam Julia beim Abendbrot vor Aufregung keinen Bissen herunter.
»Wie siehst du denn aus?«, fragte Mama. »Wirst du etwa krank?«
»Ich weiß nicht«, sagte Julia, »mir ist ganz heiß. Ich glaub, ich gehe ins Bett.«
»Gut.« Ihre Mutter legte ihr die Hand auf die Stirn. »Aber schließ nicht wieder ab, ja? Ich komme nachher noch zu dir.«
»Du brauchst nicht mehr kommen«, sagte Julia, »ich schlaf sowieso sofort.«
»Lass trotzdem die Tür auf«, sagte Mama. »Ich möchte nicht, dass du dir angewöhnst, immer abzuschließen.«
»Ist gut«, murmelte Julia.
Dann ging sie nach oben und schloss doch ab. Ganz leise. Das würde Ärger geben. Aber trotzdem – heute Abend ging es einfach nicht anders. Jakobus wartete in seiner Küche auf sie.
»Herzlich willkommen!« Er grinste übers ganze Gesicht, als Julia vor ihm stand. Er hatte eine lange, rote Jacke an mit großen, sternförmigen Knöpfen und wunderbare, goldene Schuhe. Und auf dem Kopf trug er eine Perücke mit dunkelroten Locken – passend zur Jacke.
»Diese Kleider«, Jakobus sah stolz an sich herunter, »trage ich nur zu ganz besonderen Anlässen. Heute habe ich sie dir zu Ehren angezogen. Gefallen sie dir?«
»Sehr!«, sagte Julia.
»Freut mich!« Jakobus strahlte. »Moment bitte!« Er nahm seinen schwarzen Mantel vom Haken und schlüpfte hinein.
»Wieso ziehst du denn den Mantel an?«, fragte Julia erstaunt.
»Es ist sehr kalt heute!«, antwortete Jakobus, »und es gibt nur eine einzige Treppe in diesem Haus, und die ist draußen. Ich glaube, du ziehst dir am besten wieder meine Strickjacke über. Sie liegt auf dem Bett.«
»Na gut.« Julia zog die Jacke an und sah den kleinen Mann dann erwartungsvoll an. »Wo geht’s raus?«
»Hier.« Jakobus zog Julia zu einer schmalen Tür. »Die Treppe ist ziemlich klapprig, aber du brauchst keine Angst zu haben. Bisher hat sie immer gehalten.« Er öffnete die Tür. Ein paar Schneeflocken schwebten in die Küche.
»Ah, es ist nicht sehr windig, sehr schön!«, sagte der kleine Erfinder. »Ich hatte schon Angst um meine Perücke.« Er nahm Julias Hand, zog sie nach draußen und machte die Tür hinter ihnen zu.
Julia sah sich um. Sie standen auf einer kleinen, eisernen Plattform mit einem rostigen Geländer, von der die klapprigste und furchteinflößendste Treppe in die Tiefe führte, die Julia je gesehen hatte. Es war eine Wendeltreppe aus Eisen, und sie ächzte und quietschte in einem fort und wackelte so sehr hin und her, dass sie aussah wie eine lebendige Schlange aus Stufen und Stangen.
»Da… da müssen wir runter?«, fragte Julia und klammerte sich an Jakobus’
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