Hinter verzauberten Fenstern
Prinzen«, sagte Julia.
»Ich seh keinen Prinzen«, stellte Olli fest. »Nur einen Schimpansen auf einer schwarzen Kuh.«
»Vergiss es«, sagte Julia und malte weiter.
»Du hast ja noch gar nichts von deinem Teller gegessen!«,
sagte Olli und streckte seine kleinen Wurstfinger nach einer Nougatkugel aus.
»Untersteh dich«, fauchte Julia, packte ihren Nikolausteller und schob ihn, so hoch sie konnte, ins Regal. Sie hatte wirklich noch nichts davon gegessen. Ihr war immer noch schlecht von all der Torte, die sie gestern auf dem Fest verspeist hatte. Olli schlenderte zu ihrem Bett und kletterte hinauf.
»Oh, Mann!«, sagte er und blickte in das siebte Fenster. »Das sieht ja richtig unheimlich aus. Ganz dunkel und voller Spinnweben. Brrr! Aber da in der Ecke stehen Farbeimer. Und – he! – da war gerade ein Heinzelmann!« Julia hielt den Atem an.
»Komisch!«, brummte Olli. »Jetzt seh ich ihn nicht mehr.«
Julia atmete auf.
»Olli?«, sagte sie schnell und mit ihrer freundlichsten Stimme. »Willst du eine Krokantkugel?«
»Klar.«
»Nur wenn du sofort da runterkommst.«
»Gleich.«
»Nein, sofort.«
Seufzend kletterte Olli vom Bett. »Na gut, her mit der Kugel!«
Er hielt ihr seine kleine, dicke Hand unter die Nase. Julia holte ihren Teller wieder vom Regal runter. Zum Glück
halfen Süßigkeiten bei Olli immer.
»Mama hat dir heute Morgen deinen Schlüssel weggenommen«, stellte Olli mit zufriedenem Lächeln fest, während er Julias Krokantkugel lutschte.
»Kümmere dich um deinen eigenen Kram!«, sagte Julia. Die ganze letzte Schulstunde hatte sie gezittert, weil Olli eine
Stunde eher Schluss hatte als sie. Zum Glück hatte ihre Mutter ihn mit zum Einkaufen genommen. Doch was würde morgen sein, was übermorgen? Er hatte immer mindestens eine Stunde weniger Schule als sie. Und sie erwischte ihn immer häufiger vor dem Kalender. Ihren Schlüssel würde sie jedenfalls nicht so schnell wiederkriegen. Mama war furchtbar wütend wegen gestern Abend.
»Hau jetzt ab«, sagte Julia, »ich muss Schularbeiten machen.«
»Stimmt überhaupt nicht«, sagte Olli und war schon wieder auf dem Bett. Er war so verdammt flink.
Julia packte ihn und zog ihn wieder herunter. Dann versuchte sie, ihn zur Tür zu zerren. Aber er kniff und trat um sich. Im Nu wälzten sie sich auf dem Teppich. Der Kleine wurde von Tag zu Tag stärker. Sie rollten hin und her, zerrten sich an den Haaren, boxten, kniffen, kratzten – und kugelten schließlich gegen etwas Hartes. Die Beine ihrer Mutter.
Julia ließ blitzschnell Ollis Nase los, und Olli zog seine Finger aus Julias Haaren.
»Was ist bloß jetzt schon wieder los?«, schimpfte Mama.
»Ich bin es wirklich leid mit euch beiden. Julia, guck dir bloß mal an, wie dein Bruder aussieht.«
Olli hatte einen langen, roten Kratzer quer über der Backe.
»Na und?« Julia rappelte sich vom Teppich hoch. »Ist er doch selber schuld! Immer kommt er nur rauf, um mich zu ärgern.«
»Ich wollte nur ihren Kalender angucken«, sagte Olli mit weinerlicher Stimme. »Aber sie lässt mich nicht.«
»Was ist bloß los mit dir, Julia?«, sagte Mama und begutachtete besorgt Ollis Kratzer. Dass der etliche Haare von Julia in der Hand hatte, schien nicht so wichtig zu sein.
Ich wünschte, ich wäre bei Jakobus, dachte Julia, oder bei Melissa und Rosalinde. Da gibt es keine kleinen Brüder.
»Olli, geh bitte ein bisschen in dein Zimmer«, sagte Mama.
Sobald Olli murrend hinausmarschiert war, stellte sie sich vor Julia hin und sah sie forschend an. »Also – was ist in den letzten Tagen los mit dir? Dauernd diese Abschließerei und dann deine Wutanfälle, wenn Olli sich deinen Kalender ansieht. Hast du vielleicht Ärger in der Schule oder mit einer deiner Freundinnen?«
»Nein!«, sagte Julia und drehte sich um. Sie mochte es ganz und gar nicht, wenn ihre Mutter sie mit so einem Elternblick ansah.
»Julia«, Mama drehte sie zu sich um und streichelte ihr die Wange. »Ich weiß, dass es manchmal schwer ist mit kleineren Geschwistern. Aber stell dir mal vor, du hättest gar keine. Das wäre doch auch nicht schön, oder?«
Das wäre wunderbar, dachte Julia, absolut wunderbar.
Mama gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. »Bitte, gib dir ein bisschen Mühe, ja? Olli ist doch eigentlich ein netter, kleiner Kerl, und er mag dich sehr. Nur deswegen kommt er doch so oft hier rauf.«
Von wegen, dachte Julia.
»Hast du Lust, mir beim Kochen zu helfen?«, fragte ihre Mutter und lächelte ihr
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