Hinter verzauberten Fenstern
die Sessel, das Sofa, der Teppich, die Kissen, die Tapete, die Lampen, ja, sogar die Decke. Aber riechen tat es nach Kerzen und Kuchen.
»Das ist sie!«, rief Melissa und ließ Julias Hand los. »Unser Ehrengast!«
Es wurde ganz still. Alles schaute Julia an. Und Julia schaute zurück.
Der erste Gast sah noch ziemlich normal aus. Es war ein ziemlich hässlicher, junger Mann mit großen Ohren, struppigem, schwarzem Haar und einem sehr breiten Lächeln. Die Gäste neben ihm waren allerdings schon ungewöhnlicher. Auf einem geblümten Sofa saßen vier sehr kleine, bärtige Männer mit bunten Zipfelmützen, die alle ziemlich dick waren und Julia mit freundlichen, schläfrigen Augen ansahen. Und links von ihnen saß in einem dicken Sessel ein riesiger Mann. Die Teetasse, die er hielt, sah in seinen großen Händen wie ein winziges Puppentässchen aus. Ein Riese, dachte Julia entzückt, und vier niedliche Heinzelmänner. Aber wo ist der Prinz?
»Na, habt ihr euch genug angestarrt?« Melissa drückte Julia einen voll getürmten Teller in die Hand. »Setzt euch doch!«
Julia plumpste in einen großen Sessel, und Jakobus setzte sich auf einen kleinen Schemel direkt neben sie – was sie sehr nett von ihm fand.
»Wenn ihr alle den Mund nicht aufkriegt«, sagte Melissa, »dann werde ich euch eben vorstellen.« Die alte Elfe runzelte die Stirn und sah sich um. »Bei wem fang ich an?«
»Wie wäre es mit uns?«, fragte der dickste und kleinste der Heinzelmänner und lächelte Julia verschämt an.
»Wieso nicht?«, sagte Melissa. »Also – das sind unsere Heinzelmänner – Bill, Bob, Barney und Bert. Sie sind ziemlich merkwürdige Heinzelmänner, denn sie sind sehr, sehr faul und ständig müde. Stimmt doch, Jungs, oder?«
»Stimmt!«, sagten die Heinzelmänner im Chor und nickten stolz.
»Wir freuen uns sehr, dass du gekommen bist«, meinte der Größte von ihnen. »Ja, sehr!«, riefen die anderen drei – natürlich wieder im Chor.
»Danke schön.« Julia strahlte die kleinen Kerle an. »Der große Kerl da«, fuhr Melissa fort, »heißt Riesig. Er ist stumm und redet nur mit seinen Händen. Aber man kann ihn prima verstehen. Außerdem ist er schon ziemlich alt und nicht mehr allzu stark: Aber zum Bäumeausreißen reicht es immer noch, nicht war, Riesig?« Riesig nickte und lächelte Julia an. Sein Lächeln war so breit wie eine Banane. Julia lächelte glücklich zurück. »Und das hier«, Melissa zeigte auf den hässlichen, jungen Mann, »ist unser heiß geliebter Prinz Harry, der Sohn unseres furchtbar vergesslichen Königs.«
Das sollte der Prinz sein? Julia konnte es kaum glauben.
»Man nennt mich Prinz Harry, den Hässlichen«, sagte der Prinz und grinste von einem großen Ohr zum anderen. »Ich wette, du hast dir einen Prinzen ganz anders vorgestellt, was?«
Julia bekam einen knallroten Kopf.
»Mach dir nichts draus.« Der Prinz zwinkerte ihr zu und grinste wieder von einem Ohr zum anderen Ohr.
»Ist er nicht wunderbar?« Melissa zupfte den Prinzen an seinem struppigen Haar. »Wir haben noch nie so einen netten Prinzen gehabt. Er wird einen herrlichen König abgeben!«
»Das hoffe ich«, sagte Prinz Harry, »aber jetzt lassen wir erst mal unseren Gast hochleben. Seid ihr alle fertig?«
»Ja!«, riefen alle.
Melissa flatterte unter die Decke und rief: »Eins, zwei, drei!«
Und bei drei schmetterten alle los: »Hoch soll sie leben, hoch soll sie leben, dreimal hoch!« Die vier Zwerge brüllten am lautesten, Jakobus schwenkte seine Perücke im Takt, und der stumme Riesig stampfte dazu auf den Boden. Es war ein wundervolles Getöse, und Julia strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Sie fühlte sich wie an Weihnachten, Ferienanfang, Geburtstag und Silvester zusammen. Unglaublich glücklich!
»Und jetzt«, sagte Jakobus, als alle so außer Puste waren, dass sie nicht weitersingen konnten – »jetzt muss Julia die Kerzen ausblasen.«
In der Mitte des voll gepackten Tisches stand eine Torte mit zehn roten Kerzen und einem klitzekleinen Haus aus Marzipan in der Mitte.
»Jede dieser Kerzen«, zwitscherte Rosalinde, »steht für ein Jahr, das wir vergeblich auf einen Gast gewartet haben. Wenn du sie jetzt ausbläst, pustest du all die scheußlichen Jahre weg, und wir werden sie einfach vergessen!«
»Das mach ich«, sagte Julia. Sie holte tief Luft und – pustete alle zehn Kerzen mit einem Mal aus.
»Hurraa!«, riefen alle, und die Zwerge warfen ihre Zipfelmützen in die Luft.
»Die traurigen Jahre sind vorbei!«, rief Melissa.
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