Hintergangen
Sie trug ein Paar schwarze Schlabberhosen und einen langärmeligen weißen Baumwollpullover mit einem dunkelroten Anorak darüber, und trampelte in einem alten Paar Turnschuhe, eine grüne Sporttasche über der Schulter, schwerfällig die Auffahrt herauf.
»Gott, ich hab ganz vergessen, wie arschkalt es in England ist. Und was für ein trostloses Haus! Wie halten Sie das bloß aus hier? Darf ich reinkommen?«
Sprachlos hielt Laura die Tür auf.
Beatrice trat in die Eingangshalle und schaute sich um.
»Brrr, das ist ja absolut scheußlich und deprimierend hier! Hat sich nichts verändert, außer dass dieses widerliche Wiesel weg ist. Schauderhaft!« Sie schüttelte sich. »Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich hier noch mal herkomme. Habt ihr vielleicht einen Gin in diesem Mausoleum?«
Laura schwieg noch immer. Sie wusste nicht so recht, was sie sagen sollte, und doch hatte diese merkwürdige Frau etwas an sich, was ihr gefiel. Vielleicht war es die gleiche Meinung über das Haus.
»Ja, natürlich. Gehen Sie doch durch ins Wohnzimmer, ich organisiere Ihnen etwas zu trinken. Haben Sie Hunger? Möchten Sie auch was essen?«
»Ah, das waren doch Sie da an dem Telefondings, oder? Kann’s Ihnen nicht verdenken, dass Sie keinen Besuch wollen. Ich würde ja sonst sagen, herzliches Beileid, aber Sie scheinen mir eine vernünftige Frau zu sein, da spar ich mir die Mühe. Und, nein, ich gehe nicht ins Wohnzimmer – ein düsteres Loch, wenn ich mich recht erinnere. Ich komme mit in die Küche, wenn es Ihnen recht ist.«
»Ja, natürlich. Aber in der Küche ist meine Mutter. Das stört Sie hoffentlich nicht.«
»Ist die zum Trösten gekommen, was?«
Beatrice stieß ein bellendes Gelächter aus.
Laura wusste wirklich nicht, was sie von dem Ganzen halten sollte, und war ziemlich froh, dass Stella da war, um helfend einzuspringen.
Nachdem man sich einander vorgestellt hatte, schenkte Stella die Drinks ein, und eine Weile herrschte Schweigen. Wie fing man eine Unterhaltung mit einer Person an, deren Bruder gerade gestorben war, die sich aber, soweit bekannt, schon seit Jahren nicht mehr gemeldet hatte? Beatrice schien das alles auf sich wirken zu lassen: Lauras Verlegenheit und die penible Sorgfalt, mit der Stella einen simplen Gin Tonic fabrizierte. Alles, um bloß keine verdruckste Konversation betreiben zu müssen. Schließlich brach Beatrice das angespannte Schweigen.
»Das mit Hugo habe ich heute früh erfahren – also, bei uns Mittagszeit, aber hier noch Morgen. Ich bin direkt zum Flughafen und habe heute Nachmittag einen Flug bekommen. Ich dachte, ich sollte besser herkommen.«
Beatrice musterte die anderen Frauen, als wollte sie sehen, wie sie reagierten. Laura sah ihre Mutter stirnrunzelnd an. Doch bevor Stella Gelegenheit hatte, etwas zu sagen, redete Beatrice auch schon weiter.
»Bestimmt wollt ihr auch was über mich wissen, nicht? Bestimmt hat Hugo euch verzapft, ich wäre vor all den Jahren damals auf Nimmerwiedersehen einfach abgehauen? Absolut korrekt. Ich musste aus diesem schauerlichen Haus raus, weg von diesen entsetzlichen Eltern. Jetzt wollt ihr wahrscheinlich wissen, was mit mir passiert ist, oder?«
Beatrice hatte sich auf einem Küchenhocker platziert, ließ ihre kurzen Beine baumeln und schwenkte den Kopf von einer Seite zur anderen, während sie erst Laura und dann Stella ansah.
Laura nickte stumm. Es war unhöflich, doch sie hatte nicht den blassesten Schimmer, was sie zu ihrem Gast sagen sollte. Sie machte sich aber umsonst Gedanken.
»Ich bin erst mal abgehauen nach Newquay. Es war Sommer. Ein Haufen Leute unterwegs, da konnte man sich einfach druntermischen. Ein paar Monate drauf zog ich dann nach Rhodos – genauer gesagt nach Lindos. Damals in den Sechzigern kampierten die Leute am Strand, das Leben war einfach. Ich habe unter anderem in Bars gejobbt, was sich ebenso ergeben hat. Dann bin ich meinen Mann begegnet – er ist Grieche –, und wir sind nach Kreta gezogen und dort geblieben. Die meisten denken jetzt, ich bin Griechin, und ich widerspreche nicht. Briten gehe ich tunlichst aus dem Weg.«
Beatrice lehnte sich gegen die hinter ihr liegende Wand und verschränkte die Arme über ihrem üppigen Busen. Ihr biederes, rundes Gesicht war ungeschminkt, ihr graues Haar kurz geschnitten. Dennoch fand Laura sie seltsam anziehend. Sie war eine von denen, die sich zugutehalten, die Dinge ohne Umschweife beim Namen zu nennen, und bei all der Unehrlichkeit und Verschlagenheit,
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