Hintergangen
einem schlichten Gummiband zusammengebunden, und die verständlicherweise blasse, vom Weinen fleckige Haut hatte ihr Aussehen natürlich nicht begünstigt. Imogen Kennedy war dagegen tadellos erschienen. Es war wirklich ein Kontrast gewesen.
»Ich hätte gern Lady Fletchers Reaktion gesehen, als sie von dem Vorfall erfahren hat. Dieser junge Polizist war leider so verdattert, dass er nichts gemerkt hat.«
»Wissen Sie denn, wieso Sie sie verpasst haben, Tom?«
»Eigentlich nicht. Man hat uns versichert, dass die Durchsage auf dem Flug gemacht wurde, es hat sich aber niemand gemeldet. Sie behauptet, sie hätte geschlafen.«
Becky schnaubte verächtlich.
»Ha – und zwei Minuten später sagt sie, sie schläft nicht viel.«
Tom nickte.
»Ich nehme an, auf Reisen ist das bei manchen Leuten so. Na, jedenfalls haben wir am Flughafen den Status ihres Gepäcks überprüfen lassen. Offenbar hatte sie ihren Koffer abgeholt, das Förderband war leer, und so hatten wir damit gerechnet, dass sie jeden Moment herauskommen würde.«
»Im Flughafen wurden mehrere Durchsagen gemacht«, fügte Becky hinzu. »Wir haben eine halbe Stunde gewartet, doch dann irgendwann aufgegeben. Sie muss uns durchgerutscht sein. Etwa um zehn nach acht sind wir hier angekommen. Wundert mich ja, dass wir so dicht hinter ihr waren, wenn man bedenkt, wie viel Vorsprung sie gehabt haben muss.«
Der DCS schaltete sich ein. »Sind wir absolut sicher, dass sie den Flug genommen hat? Kann es da irgendwelche Zweifel geben?«
Becky zögerte nicht mit der Antwort.
»Absolut keine. Und als ich ihren Koffer aus dem Auto geholt habe, stand der Ancona-Flug auf dem Anhänger, mit Datum von heute.«
»Nach ihrem Aussehen heute Abend, Becky, was meinen Sie, hätten Sie sie am Flughafen wiedererkannt?«, wollte Sinclair wissen.
»Das letzte Foto, das wir haben, ist nicht so toll, vielleicht haben wir sie deshalb verfehlt. Ich glaube aber kaum, dass dieser Rock an mir hätte vorbeilaufen können, ohne mir aufzufallen. Vielleicht trug sie aber auch einen Mantel. Auf dem Rücksitz des Wagens lag einer.«
Tom hatte keine Ahnung, wie sie sie hatten verfehlen können, doch so war es offenbar gewesen. Wie Becky sagte, gab es keinerlei Zweifel, dass Laura Fletcher zum Zeitpunkt des Mordes in Italien gewesen war. Irgendetwas störte ihn aber. Er hatte gefühlt, wie ihr Körper zitterte, es bestand also kein Zweifel, dass ihr Schmerz echt war, doch ein paar Reaktionen waren schon merkwürdig. Seltsam, dass sie an Einzelheiten überhaupt nicht interessiert gewesen war. Sie hatte sich auch mit keiner einzigen Frage danach erkundigt, wie ihr Mann denn gestorben war. Doch die Tatsache, dass die Putzfrau an einem Samstag dort gewesen war, hatte sie offenbar überrascht. Wieso war das wichtig? Zu dem Zeitpunkt hatte nicht einmal die Polizei gewusst, dass es sich definitiv um Mord handelte. Beckys Denkmuster schienen seine eigenen zu reflektieren, als er sie mit Sinclair reden hörte.
»Sie haben gesagt, es sähe nach Mord aus. Was hat man gefunden, Sir?«
»Als man die Leiche in die Gerichtsmedizin gebracht hat, hat Rufus Dexter sie offenbar noch mal genauer unter die Lupe genommen. Er bringt vielleicht keinen vollständigen Satz heraus, ist aber ein Detailfanatiker und konnte nicht widerstehen, die Ermittlungen vor der Obduktion noch ein bisschen voranzutreiben. Ihm ist ein winziger Blutfleck im Schamhaar des Opfers aufgefallen. Dort ist definitiv eine Einstichwunde, und man kann unter normalen Umständen annehmen, dass sich kein geistig normaler Mensch in der Nähe des Skrotums eine Injektion verpasst. Dexter weiß allerdings bisher noch nicht, was da gespritzt wurde. Er glaubt nicht, dass die Absicht bestand, die Einstichwunde zu verbergen – dafür gibt es bessere Stellen, wie wir alle wissen. Die Stelle wurde also vermutlich wegen der schnellen Absorption in den Blutkreislauf ausgewählt.«
»Wir müssen der Ehefrau noch sagen, dass er nackt und gefesselt gefunden wurde. Die Tatsache wird sie wohl nur schwer ausblenden können«, meinte Becky.
Tom schaute hinaus in die dunkle Nacht, während sie über die M40 brausten, und dachte an Hugo Fletcher. Da immer unwahrscheinlicher wurde, dass es sich um die Tat einer wütenden Ehefrau handelte, mussten sie auch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen. Er überlegte, dass es vielleicht etwas mit Sir Hugos Stiftung zu tun haben könnte. »Sein Vermögen hatte Hugo Fletcher geerbt, doch berühmt war er doch für dieses
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