Hintergangen
leid«, erwiderte sie fast flüsternd.
»Sollen wir jemanden für Sie verständigen, Lady Fletcher?«, fragte Sergeant Robinson.
»Ich will niemanden, danke. Ich möchte wirklich lieber allein sein.« Laura schwieg.
Dann hob sie den Blick und schaute besorgt durch die immer noch geöffneten Vorhänge nach draußen.
»Aber wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht, könnten Sie vielleicht jemanden bitten, mir mein Gepäck aus dem Kofferraum zu bringen? Ich will eigentlich nicht hinaus, solange der Hubschrauber noch da ist.«
Die hilfsbereite Kriminalbeamtin sprang auf.
»Ich hole es.«
Laura wurde sich vage bewusst, dass der Chief Inspector wissen wollte, ob man ihr einen Arzt rufen sollte, doch sie hatte sich aus dem Gespräch ausgeklinkt und war inzwischen ganz woanders. Das Geräusch der anderen Stimmen hallte in ihrem Kopf wider, doch die Wörter erreichten sie nicht mehr.
Sie war erleichtert, als Sergeant Robinson wieder auftauchte, in der Hand einen kleinen Koffer.
»Verzeihung, Lady Fletcher, da ist eine Dame, die Sie gern sprechen möchte. Der Kollege hat sie bis an die Haustür gelassen, weil sie gesagt hat, sie sei eine Verwandte von Ihnen. Soll ich sie hereinlassen?«
Bevor Laura sich sammeln und antworten konnte, wurde die Tür aufgestoßen. Eine schlanke junge Frau stand im Türrahmen, ihr langes, strohblondes Haar glänzte im Schein des Kronleuchters hinter ihr.
»Laura, ich hab’s grade erfahren. Es tut mir ja so leid. Ich musste einfach herkommen. Ich konnte dich doch unmöglich damit alleinlassen.«
Die Frau mit dem leichten, aber unverkennbaren nordamerikanischen Akzent war die letzte Person, mit der Laura gerechnet hatte.
Sie merkte, wie ihr Herz anfing zu rasen, und fuhr vom Sofa hoch. Sie konnte sich nicht zurückhalten, all ihre angestauten Emotionen brachen aus ihr hervor.
»Verdammt, was willst du denn hier?«
4. Kapitel
I nnerhalb von Minuten nach Ankunft des offenbar unerwünschten Gastes saßen alle drei Detectives in Beckys Auto und fuhren langsam an der wachsenden Menge von Presseleuten vorbei, die die Toreinfahrt versperrten. Seit Verlassen des Hauses hatte keiner ein Wort gesagt, und sie schwiegen weiter, bis sie außer Sichtweite der Kameras waren. Eine Nahaufnahme dreier sichtlich aufgewühlter Polizeibeamter in den Abendnachrichten würde bloß unnötige Spekulationen anregen, daher durften sie keine Miene verziehen. Becky brach als Erste das Schweigen.
»Denkt außer mir vielleicht noch jemand, dass das da gerade echt komisch war? Erst diese Einsilbigkeit – und dann so ein Gefühlsausbruch. Außerdem war sie heilfroh, als wir endlich abgezogen sind, nachdem diese Schwägerin urplötzlich aufgetaucht ist.«
Tom war der gleichen Meinung. Laura Fletchers Kummer hatte sehr echt gewirkt, doch sobald ihr Besuch angekommen war, hatte sie sie mehr oder weniger aus der Tür geschoben. Und Beckys Angebot, über Nacht bei der Witwe zu bleiben, war zu ihrem Bedauern umgehend abgelehnt worden. Zu gern würde sie jetzt dort Mäuschen spielen.
»Tom, wie war Ihr erster Eindruck von Lady Fletcher?« James Sinclairs scharfer Blick richtete sich auf Tom, der tief in Gedanken versunken auf dem Rücksitz saß. Er konnte nur daran denken, wie zerbrechlich sie gewirkt hatte, als er ihr hatte helfen wollen, nicht zusammenzusacken. Er rief sich die Szene im Wohnzimmer noch einmal vor Augen.
»Sie ist schwer zu durchschauen, zweifellos sehr erschüttert. Sie scheint sich wirklich zusammenzureißen, so sehr, dass sie fast unbeteiligt wirkt, als wäre das alles gar nicht echt. Außer natürlich ihre Reaktion auf die Besucherin. Die war auf jeden Fall echt.«
»Hm, ihre Besucherin – wie hieß die gleich, Becky?«
»Imogen Kennedy, Sir.«
»Danke. Nun, da Imogen mit Lady Fletchers Bruder verheiratet war, könnte es alle möglichen Gründe für deren Reaktion geben – möglicherweise ein Familienzwist. Lohnt sich jedenfalls, da mal genauer nachzuforschen. Bei so viel Feindseligkeit steckt vielleicht noch mehr dahinter. Was meinen Sie, Becky?«, wollte Sinclair wissen.
»Ich fand, Lady Fletcher hat ausgesehen, als hätte sie sich komplett aufgegeben. Im Gegensatz zu ihrer sehr attraktiven Schwägerin.«
Tom fand Beckys unverblümte Einschätzung völlig zutreffend. Laura Fletcher hatte einen Paisleyrock in Violetttönen getragen, der unvorteilhaft in der Taille zusammengehalten wurde, dazu einen kurzärmeligen Pullover in verwaschenem Beige mit Rundhalsausschnitt. Ihr Haar war mit
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