Hintergangen
zuwandte, um neu einzuschenken, war Laura erleichtert, seinem brennenden Blick zu entgehen, und sprach weiter.
»Imogen hat mir die Schlüsselkarte zu ihrem Zimmer im Majestic gegeben. Das Formular zum Auschecken hatte sie bereits ausgefüllt, unterschrieben und im Zimmer gelassen und sie wollte am nächsten Morgen um elf im Hotel anrufen, um zu sagen, sie sei gerade abgereist, habe aber vergessen, das Formular abzugeben. Sie hat an alles gedacht. Dann ist sie in meinen Wagen gesprungen, als wäre die Nachtfahrt zurück zu meinem Haus in Italien das Einfachste von der Welt.
Ich hätte dringend Schlaf gebraucht, musste aber ununterbrochen an den Deal denken, den ich mit Hugo abgeschlossen hatte. Den Deal, der sein Tod sein würde. Inzwischen ist mir egal gewesen, was aus mir wurde. Allerdings habe ich es ja nicht für mich getan.
Ich habe das Hotel in aller Herrgottsfrühe verlassen und bin nach Paris gefahren. Ich musste viel zu viel Zeit totschlagen, aber anders konnten wir es nicht machen. Die Fahrt zwischen der Villa und Südfrankreich musste größtenteils nachts vonstattengehen, damit ich nicht vermisst wurde. Ich musste dort auf dem Grundstück ›gesehen‹ werden – auch wenn es sich bei der Person eigentlich um Imogen gehandelt hat. Sie würde zu festgelegten Zeiten Oliven pflücken – weit genug weg von der Straße natürlich, sodass man ihre Gesichtszüge nicht würde ausmachen können.«
Will hielt ihr das frisch aufgefüllte Glas hin, mit dem Laura sich aber dann ihm gegenüber aufs Sofa setzte. Eine Weile schwieg sie, während sie sich die Fahrt nach Paris durch den Kopf gehen ließ – wie sie haltgemacht hatte, um Kaffee zu trinken, dann Imogens Koffer an der Gare du Nord abgeladen und den Wagen bei der Mietfirma zurückgegeben hatte. Die war bereits geschlossen gewesen, sodass niemand sie dort gesehen hatte. Und dann die nicht enden wollenden Stunden des Wartens, während sie in Restaurants herumgesessen hatte anstatt im Warteraum des Bahnhofs, wo sich womöglich jemand an sie erinnert hätte, und endlose Tassen Kaffee getrunken hatte. Schließlich, als sämtliche Alternativen ausgereizt waren, war sie zur Gare du Nord zurückgekehrt und hatte sich auf den Toiletten versteckt. Eine schreckliche Nacht war das gewesen. Aber noch lange nicht das Schlimmste.
Sie schwenkte den Whisky im Glas und starrte wie hypnotisiert in die golden wirbelnde Flüssigkeit.
»Der Zug war auf den Namen Imogen Dubois gebucht, einen Namen, der theoretisch nicht mit mir in Verbindung gebracht werden konnte. Beim Einsteigen habe ich ihren kanadischen Pass benutzt. Der stimmte mit dem Namen auf der Fahrkarte überein. Das Foto war mindestens acht Jahre alt und hätte irgendwer sein können. Außerdem hatte ich auch noch Imogens anderen Pass – den britischen. Der war sogar noch älter und schon fast abgelaufen. Darauf sah sie sehr jung aus.«
Über das Gesicht ihres Bruders huschte ein unmerkliches Flackern. Sie konnte sehen, dass er noch längst nicht alles verstand, sie nicht verstand.
Während sie die endlosen Stunden des Wartens auf den Zug hatte über sich ergehen lassen, war Laura im Geiste wieder und wieder alles durchgegangen. Den Grund dafür, weshalb dies die einzig sinnvolle Alternative war. Den Grund dafür, dass sie kurz davorstand, etwas zu tun, was ihr tief im Innersten zuwider war.
»Dann konnte ich endlich in den Zug steigen. Es war so einfach. Nachdem man einen kurzen Blick auf meinen Pass geworfen und sich dann vergewissert hatte, dass er mit dem Namen auf der Fahrkarte übereinstimmte, wurde ich durchgelassen. Ich habe mich in eine Ecke gekauert und so getan, als würde ich schlafen, damit mich niemand in ein Gespräch verwickeln konnte. Das Aussteigen war ebenso einfach: Mit Imogens kanadischem Pass hätte ich ein Einreiseformular ausfüllen müssen, doch mit ihrem britischen bin ich einfach so durch die Kontrollen gesegelt – keine Papierspur also.
Ich habe gewusst, dass Hugo nicht in der Wohnung sein würde, das ist so geplant gewesen. Er hat angenommen, sein letzter Deal mit mir – durch den ich das zweite Mal aus dem Heim gekommen bin – würde nun eingelöst werden. Ich musste vor ihm eintreffen, um mich vorzubereiten. Ich konnte nicht wie immer ins Haus gehen – ich hätte von einem Nachbarn erkannt werden können –, also habe ich in der U-Bahn-Station die abscheuliche rote Perücke aufgesetzt, obwohl mir beim Gedanken an ihre früheren Verwendungen richtig schlecht
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