Hintergangen
anders als seine Kollegin wollte er aber die grundlegende Ursache begreifen.
Obwohl es erst sieben Uhr morgens war, waren schon einige seiner Mitarbeiter im Büro. Sie waren mit Begeisterung bei der Sache, und so trommelte er alle zusammen, um sich kurz über die Fortschritte auszutauschen, die es in den elfeinhalb Stunden gegeben hatte, seit er sich in den vermeintlichen Frieden seiner Wohnung verabschiedet hatte. Er stand an einen Schreibtisch gelehnt, und die anderen gruppierten sich auf Stühlen und Schreibtischen um ihn herum. Ajay, der wie immer als Erster sprechen wollte, machte an diesem Morgen keine Ausnahme.
»Wir haben einiges über Tina Stibbons herausbekommen, Sir. Die ist nämlich aktenkundig. Hat als Pflegerin bei einem alten Herrn in der Nähe von Cromer gearbeitet und wurde von dessen Tochter beschuldigt, einige wertvolle Briefmarken gestohlen zu haben. Das Album war voll mit ihren Fingerabdrücken – was sie mit der Tatsache erklärt hat, sie hätte sich mit Erlaubnis des Alten die Briefmarken angeschaut. Der hat sich aber nicht mehr dran erinnern können. Die Tochter wollte dafür sorgen, dass Tina eingebuchtet wurde, aber zwei Tage vor der Gerichtsverhandlung wurde die Anklage fallen gelassen. Die Briefmarken sind nie wieder aufgetaucht, Tina ist aus Cromer weggegangen, und das war’s. Es hat den starken Verdacht auf eine Art von Erpressung gegeben, doch es konnte nichts bewiesen werden. Die Tochter hat plötzlich alles unter den Teppich kehren wollen. Wer weiß, was Tina da ans Licht befördert hatte.«
Tom konnte sehen, wie sich ein Muster abzeichnete, nach dem, was Tina alias Annabel ihm am Vortag erzählt hatte.
»Gute Arbeit, alle zusammen. Konnten Sie denn ein Foto von Tina auftreiben?«
»Und ob, es ist allerdings kein sehr hübscher Anblick, kann ich Ihnen sagen! Was zum Teufel hat sich der alte Hugo eigentlich gedacht?«
»Aussehen ist ja nicht alles. Sie hat seine Mutter gepflegt, also hat er vielleicht noch eine andere Seite an ihr gesehen. Wo ist das Foto?«
»An dem Brett hinter Ihnen, Chef. Oben rechts.«
Tom drehte sich zu dem weißen Magnetbord um. Selbst er war mehr als bloß ein bisschen verblüfft über das Bild. Tina Stibbons und Annabel Fletcher waren nicht als ein und dieselbe Person erkennbar. Gestern hatte sie ihm gesagt, Teil der Vereinbarung sei »ein bisschen Selbstoptimierung« gewesen, und sie hatte nicht gescherzt.
Eine junge Polizistin reichte ihm eine Tasse Kaffee und deutete auf das Foto daneben.
»Das hier wurde von Lady Annabel kurz nach ihrer Hochzeit gemacht. Die Heirat war eine Sensationsmeldung, obwohl Hugo sie ganz privat halten wollte, das meiste hat sich also hinter verschlossenen Türen abgespielt. Wegen seines Prominentenstatus war es für die Paparazzi natürlich ein gefundenes Fressen. Haben Sie sich schon mal so eine amerikanische Sendung über Schönheitsoperationen angeschaut?«
Die Männer im Team guckten bloß verständnislos, ein paar von den jungen Frauen nickten jedoch lächelnd.
»Da nehmen sie die unscheinbarsten Mädchen und verpassen ihnen eine umfassende Schönheitsoperation. Die verwandeln tatsächlich hässliche Entchen in Schwäne, mit Nasen- OP , Kinn- OP , Augenabnähern, Bauchabnähern, Busen- OP , allen möglichen Zahnverblendungen, Haut wird entnommen und danach wieder aufgebaut, Haarentfernung per Laser, wo an der falschen Stelle zu viel ist, Haarimplantate, wo nicht genug ist, und wenn sie dann ein komplett anderes Erscheinungsbild erschaffen haben, kommen Haare und Make-up dran. Es ist erstaunlich – nur sehen am Ende alle ziemlich gleich aus. Also, sie sieht aus wie das Ergebnis von so einer Sendung, und ich würde mal schätzen, dass der neue Look sie um eine halbe Million ärmer gemacht hat.«
»Findet es denn außer mir noch jemand seltsam, dass er seine erste Frau von einem hässlichen Entchen in einen Schwan verwandelt hat, und bei seiner zweiten war es genau umgekehrt?«, fragte Ajay.
Die meisten nickten, doch Tom verspürte den merkwürdigen Drang, Laura zu verteidigen.
»Ihnen ist wohl allen bewusst, dass sie krank war und die Depression, oder was immer es war, offensichtlich einen Einfluss hatte. Ich würde sie an Ihrer Stelle aber nicht abschreiben. Sie hat so ein gewisses Etwas.«
Tom lächelte während der Pfiffe und deftigen Bemerkungen, die bestimmt nicht unerwartet kamen. Es war gut, die Atmosphäre etwas aufzulockern, selbst auf seine eigenen Kosten.
»Okay, was haben wir sonst noch?«
Er
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