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Hinterhalt am Schwarzen Fels

Hinterhalt am Schwarzen Fels

Titel: Hinterhalt am Schwarzen Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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nachher in einen Werwolf verwandele.«
    »Das war toll!«, sagte Gaby.
»Wusste gar nicht, dass du das kannst. Sonst schnurrst du ja nur wie ein
Kater.«
    Diesmal lachte auch Tanja.
Einige Schüler redeten. Aber dann verstummten alle, denn von weither antwortete
ein echter Wolf.
    Sein anhaltendes Heulen — vom
Gehege her — schien sich auszubreiten über den Wipfeln und hallte weithin
durchs Witwen-Stein-Tal.
    In die nachfolgende Stille
sagte Klößchen: »Er heult fast so gut wie du. Aber du klingst echter.«
    »Jedenfalls hat er mich als
seinesgleichen akzeptiert.«
    »Wo übst du das eigentlich?«,
fragte Midler lachend.
    »Meistens unter der Dusche.
Natürlich nur ganz früh am Morgen, wenn die andern noch schlafen.«
    »Und ich dachte immer, es wäre
ein ganz normaler Albtraum, was ich da höre, bevor der Wecker klingelt.«
    Sie wanderten weiter. Alle
warteten gespannt, ob sich der echte Wolf noch mal meldete, aber der hatte
offenbar keine Lust mehr.
    Um 22:03 Uhr — Tim sah auf
seine Armbanduhr — erreichten sie ihr Ziel.
    Der Wald hörte auf. Der Weg
mündete auf einen großen Platz, etwa mit den Ausmaßen eines Fußballfeldes. Auch
hier bildeten hohe Bäume — vornehmlich Fichten und Buchen — die Kulisse
ringsum. Auf der anderen Seite gewahrte Tim einen Einschnitt zwischen den
Bäumen, die Einmündung der Forststraße.
    Der Mond stand jetzt hoch.
Silberlicht überflutete einen Teil des Parkplatzes, der so leer war wie
Klößchens Teller nach beendeter Mahlzeit. Der andere Teil lag im Schatten sehr
hoher und dicht stehender Bäume.
    Midler wies nach rechts. »Das
ist der Schwarze Fels. Jetzt natürlich besonders schwarz.«
    Der Monolith stand an der
Grenze zwischen Mondlicht und Schatten. Von hier aus — es mochten noch 50 oder
60 Meter sein bis dorthin — wirkte er bizarr, wie zusammengesetzt aus einzelnen
Teilen.

    Aber von Ragnells Hexengesicht
war nichts zu erkennen.
    Die 9b marschierte darauf zu.
    Tim, dessen Sinne übermäßig
geschärft sind — ein Geschenk der Natur — , blieb plötzlich stehen und spähte
in den Schatten, in die Dunkelheit unter den Bäumen.
    »Ist was?«, fragte Gaby.
    »Hm. Ich meine, da hat sich was
bewegt.«
    »Doch nicht etwa die Wölfe?«
    »Vielleicht ein anderes Tier.«
Er wollte sich an Midler wenden und scherzhaft fragen, ob’s hier auch Bären
gäbe — aber der Klassenlehrer und die anderen waren schon weitergezogen und
umrundeten den Fels.
    Gaby gab Tim ihre Fackel. »Halt
bitte mal! Mein Rucksack rutscht.«
    »Warum hast du den überhaupt
mitgenommen?«
    »Weil ich meinen schicken
Pullover gegen nächtliche Kühle nicht in deinen Tornister pfropfen wollte.
Außerdem solltest du wissen, dass Frauen und Mädchen gern Rucksäcke tragen.
Natürlich am liebsten modische City-Bags von italienischen Designern.«
    »Dein Pullover hätte bei mir
noch Platz gehabt.«
    »Aber davon mache ich mich
nicht abhängig.«
    »Du wirst Ragnell immer
ähnlicher.«
    »Waaas?!«
    »Innerlich, meine ich.
Äußerlich bist du zum Glück Tag und Nacht schön.«
    Gaby lachte, nahm ihre Fackel
wieder und sie gingen zum Fels.
    Einmal sah Tim über die
Schulter zurück. Der Fackelschein blendete ihn zwar etwas — dennoch vermeinte
er abermals eine Bewegung auszumachen: eine Verdichtung in der Dunkelheit zu
klumpiger Schwärze.
    Gespenster!, dachte er und
prüfte, ob der Wind ging. Doch der hatte sich schon seit einer Weile gelegt. In
den Blättern war kein Rascheln mehr.
    Dann standen Tim, Gaby, Karl
und Klößchen vor dem Schwarzen Fels. Der Mond war weitergerückt, der Monolith
wurde jetzt übergossen vom Licht. Dazu der Fackelschein und blühende Fantasie —
tatsächlich ließ sich eine steingemeißelte Fratze erkennen.
    »Schön war Ragnell wirklich
nicht«, meinte Karl. »Der Kuss in der Hochzeitsnacht muss Wunder gewirkt haben.
Aber das haben ja Küsse im Märchen so an sich. Sie lösen sogar Verwandlungen
aus — von einer Gattung in die andere.«
    Rebecca trat zu ihnen und hatte
die letzten Worte gehört. »Vielleicht«, meinte sie lachend, »liegt’s nur daran,
dass die Männer damals besser küssen konnten.«
    »Schwer zu glauben«, erwiderte
Tim. »Damals hat sich niemand die Zähne geputzt, und ein 20-Jähriger war oft so
zahnlos wie heute ein Greis von 100, wenn er seine Prothese mit den dritten
Beißerchen vergisst. Die Vergangenheit romantisieren ist eins, die Wirklichkeit
hatte vermutlich Mundgeruch.«
    »Tim!«, rief ihn Gaby zur
Ordnung. »Lass uns unsere Illusionen.

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