Hinterher ist man immer tot: Roman (German Edition)
»Ein Handy? Mam hatte keins.«
»Nicht das Handy«, sage ich. »Da ist eine Videobotschaft drauf, abrufbereit. Du musst nur das Display berühren.«
Mikes Stirnrunzeln gibt mir zu verstehen, dass jemandem von seiner Wichtigkeit das Berühren eines Displays nicht zugemutet werden kann, und nur für den Fall, dass sein Stirnrunzeln falsch gedeutet wird, verbalisiert Mike seine Bedenken: »Verdammte kleine Handys. Das ist mir zu blöd, Herrgott noch mal, dieser verbluetoothte Blödsinn.«
Verbluetoothter Blödsinn? Ich bin widerwillig beeindruckt.
Calvin kehrt gerade rechtzeitig von der Abschiebeaktion mit Mona aus der Garderobe zurück, um seine Dienste als Mann fürs Audiovisuelle anzubieten.
»Mister Madden«, sagt er. »Ich kann das für dich auf die große Leinwand bringen, null Problemo.«
Mike wirft ihm das Handy zu. »Dann mach das, Kleiner. Ich komm mit den Dingern nicht klar. Seit VHS bin ich ausgestiegen.«
Während Calvin sich die Videodatei auf sein Macbook mailt, lächele ich den Mann freundlich an, dem gleich das Herz aus der Brust gerissen und vom HD -Geist seiner eigenen Mutter über den Asphalt geschleift werden wird.
Ist dies das Grausamste, was ich je getan habe?
Kann sein.
Der Fairness halber muss erwähnt werden, dass ich provoziert wurde. Manchmal mache ich etwas, das unmittelbar gar keine Wirkung zeigt, mich dann aber auf Jahre hinweg im Schlaf verfolgt. Bis zu diesem Augenblick hat Daniel McEvoy niemals einem anderen Menschen etwas Grausameres angetan als an jenem Sommerabend im Ausbildungslager der Curragh Army in County Dildare, wo er von der Gruppe angestachelt einen Kameraden aus Donegal ein bisschen geärgert hat, weil dieser die Teamzeit auf dem Hindernisparcours versaut hatte. Zum Schluss hatte der Mann einen gebrochenen Kiefer, und es war mein Fuß, der ihn gebrochen hat. Ich habe gespürt, wie der Knochen unter meinem Stiefel nachgegeben hat. Hab’s aber nie zugegeben. Die Gruppe hat die Schuld auf sich genommen. Der Typ aus Donegal wurde entlassen, und vielleicht hab ich ihm damit sogar das Leben gerettet, sage ich mir.
Du bist kein charakterloser Tyrann. Du hast ihm das Leben gerettet.
Blödsinn. Ich war mir selbst näher. Hab’s mir einfach gemacht.
Ich bin nicht so schlimm. Nein, nein, nein.
Ich glaube, der Typ hieß auch Mike.
Ist das ein Omen? Sollte ich Irish Mike vom Haken lassen?
Ich blicke in die tiefliegenden Augen des Möchtegern-Paten, und mir geht auf, dass er wahrscheinlich höchstpersönlich den Hammer gegen Sofia schwingen würde.
Scheiß auf Gnade. Ich muss mich von diesem Mann befreien.
»Wo zum Teufel bleibt das Video, Calvin?«, sagt Mike schmollend. »Ich hab noch zu tun.«
Macht macht aus erwachsenen Männern Kinder. Mein Vater war genauso. Sein Trick bestand darin, erst Druck aufzubauen und sich dann irgendeine bescheuerte Ausrede einfallen zu lassen. Er hätte nicht einfach so einen Tobsuchtsanfall haben können, weil er ein fieses Arschloch war. Nein, es musste immer einen guten Grund geben, und Gott hilft demjenigen, der diesen Grund je hinterfragt hat. Ich erinnere mich, dass er von der Rennbahn nach Hause kam, Donnergrollen auf der Stirn, weil er ein Vermögen auf einen alten Gaul gesetzt hatte, der gleich gegen den ersten Zaun gerannt war und sich das Genick gebrochen hatte. Meiner Mutter warf er vor, sie habe mit dem Milchmann geflirtet, und ihr eine heftige Ohrfeige verpasst, oder auch eine Topspin-Rückhand, wie er immer meinte, wenn er sich erst mal mit ein paar Whiskey aufgewärmt hatte.
Der Milchmann in unserer Straße war achtundsiebzig und hatte ein Holzbein. Zehn Jahre lang hielt ich ihn für einen pensionierten Piraten. Heutzutage sieht man keine Holzbeine mehr. Heutzutage ist alles aus Kohlefaser.
Vielleicht liegt’s an der Erinnerung an meinen Vater, dass ich plötzlich innerlich vor Wut koche.
»Hey, Mike«, sage ich. »Bevor wir uns das Video ansehen, möchte ich, dass du weißt, dass ich so oder so die Schnauze vollhabe von dir und deinem Scheiß.«
Mike weiß nicht so genau, wie er reagieren soll. Er will lachen, aber ich glaube, er hört die Anspannung in meiner Stimme.
»Ach ja, Kleiner? Du hast die Schnauze voll, ja? Kann sein. Das kann gut sein.«
Ich sage nichts, aber ich mache mich bereit aufzuspringen, weil es ziemlich wahrscheinlich ist, dass Mike die Nerven verliert, sobald der Film läuft.
»Jetzt geht’s los, Mister Madden«, sagt Calvin nicht ahnend, dass er schon bald der sagenumwobene erschossene
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