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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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ließ, Fragen zu stellen, wie dieser hochtalentierte Seiteneinsteiger, und sie
     knüpfte ein kleines Geheimnisan das andere und ließ ihn zappeln. Einmal unterbrach ich sie, zeigte auf den mahagonibraunen Trittstuhl und sagte, ich wollte
     ihn gerne als wichtiges Requisit einbauen in mein Stück. Doch sie hatte Einwände, der Stuhl, dessen Lehne sich über zwei Scharniere
     unter dem Sitz nach hinten kippen ließ, so daß man auf drei Trittbretter steigen konnte, dieser Stuhl war doch nur ein Geschenk
     des Onkels, sie aber hatte Angst, daß man ihn bei den Proben zerschrammte. Ihre Gegenrede war sehr heftig, das junge Talent
     versuchte, sie zu besänftigen, und es hörte sich sogar in meinen Ohren so an, als hätte ich ihn instruiert. Dieser Gegenstand
     würde sich hervorragend dafür eignen, die Bürgerlichen in der überheizten Wohnung zu zeichnen, so stellte ich es mir vor,
     ich gehörte keinesfalls zu der Kasperkohorte, zu den Armseligen und Unaufmerksamen, denen die bürgerlich inspirierte Liebenswürdigkeit
     nicht zusagte. Denn die Freiheit spülte den Adel des Abschaums zuoberst, die Proleten von heute haßten das Theater, die subtilen
     Techniken, das Gedämpfte und Verlangsamte, und ich wollte, trotz der Geschlechterverkehrung, die Praxis der Diskretion loben.
    Sie aber lachte mir ins Gesicht und sagte, ich sollte sie mit meinem Niveau verschonen, an diesem denkwürdigen Abend wandten
     sie sich alle gegen mich, ich war ihr Dompteur, und sie verziehen es mir nicht, daß ich sie bei einer Probe meine heiligen
     Laien genannt hatte – nur der Alte hielt sich aus dem Gezänk heraus, und ich beschloß, ihn nie wieder zu gängeln, weil er
     sich die Schläfen schwarz färbte.
    Die Techniker, die Bühnenbildner, die Schauspieler und sogar der Pförtner forderten die Wiedereinsetzung in alte Rechte, sie
     warfen mir vor, zu brüllen statt zu trösten, und der Lügner … die Lügnerin verbreitete das Gerücht, ich wäre schuld an Tomás’
     Selbstmord, man hätte ihn nie einem Menschenschinder wie mir zutreiben dürfen. In der kurzen Zeit, die ich ihn kannte, bestand
     Tomás darauf, dem Tode nahezu sein, es wird mir keiner die Arbeit abnehmen, so erklärte er mir einmal, ich bin wie geschaffen für das schnelle Ende.
     Mit diesen Todessüchtigen mußte ich mich herumschlagen, es nützte nichts, daß ich ihnen manchmal den Vormittag freigab, damit
     sie den Schmutz, der sich in ihren Köpfen im Wachzustand sammelte, herausschliefen, ich bat sie sogar, morgens nach dem Aufwachen
     auf die Kissen zu schlagen mit der Faust, und ich sagte: Wir atmen unsere Ängste in unsere Träume, und dank dieser Hygieneträume
     können wir tagsüber empfänglich bleiben. Tomás, schrie sie daraufhin, Tomás ist tot, du bestreichst meine Füße mit Salböl,
     aber das ändert nichts daran, daß er wegen dir einen Nervenzusammenbruch erlitt! Wie merkwürdig doch ihre Worte waren, wie
     furchtbar schlimm und unangebracht. Der Schweiß in der Senke zwischen ihren Brüsten brachte das junge Talent fast um, ihre
     Brüste zeichneten sich unter ihrem roten Kaschmirpullover ab, weil sie nie einen Büstenhalter trug, und der Junge versuchte
     vergeblich, nicht hinzusehen – vielleicht hatte sie Tomás in Bann gehalten, in jenen Tagen, als es ihm noch nicht möglich
     schien, Frauen ansehnlich zu finden.
     
    Den Trittstuhl brachte sie zur Probe mit, sie stieg auf die Bühne, stellte ihn genau an die richtige Stelle, machte ihre üblichen
     Gelenkigkeitsübungen und verstauchte sich den Fuß – alle sprangen herbei, um ihr zu helfen, nur ich saß auf meinem Sitz im
     Saal und dachte an Sabotage. Sie hatte mir meinen Willen gelassen, im Gegenzug sollte ich auf sie verzichten, darauf liefen
     ihre Racheakte hinaus: Man bekam nur sie, und wenn man sich einen zusätzlichen Gegenstand wünschte, fiel ihr eine Möglichkeit
     ein, sich zum Verschwinden zu bringen.
    Ich tat ihr kein Leid an. Ich lobte auch nicht ihre Betäubungskunst. Wann hatte in letzter Zeit eine Frau von mir als von
     einem alleinstehenden Mann gesprochen, ich konntemich nicht erinnern. Der Fußweg von dem Haus, in dem ich wohnte, bis zur Probebühne dauerte nicht länger als zwanzig Minuten,
     und in den letzten zehn Minuten stieß sie hinzu, die Lügnerin, sie erschien, wann immer ihr der Sinn danach stand, und sie
     fing eine Unterhaltung mit mir an, in deren Verlauf sie jedesmal auf den Selbstmörder zu sprechen kam, der verschwendete Mann,
     sagte sie, es schmerzt

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