Hinterland
ließ, Fragen zu stellen, wie dieser hochtalentierte Seiteneinsteiger, und sie
knüpfte ein kleines Geheimnisan das andere und ließ ihn zappeln. Einmal unterbrach ich sie, zeigte auf den mahagonibraunen Trittstuhl und sagte, ich wollte
ihn gerne als wichtiges Requisit einbauen in mein Stück. Doch sie hatte Einwände, der Stuhl, dessen Lehne sich über zwei Scharniere
unter dem Sitz nach hinten kippen ließ, so daß man auf drei Trittbretter steigen konnte, dieser Stuhl war doch nur ein Geschenk
des Onkels, sie aber hatte Angst, daß man ihn bei den Proben zerschrammte. Ihre Gegenrede war sehr heftig, das junge Talent
versuchte, sie zu besänftigen, und es hörte sich sogar in meinen Ohren so an, als hätte ich ihn instruiert. Dieser Gegenstand
würde sich hervorragend dafür eignen, die Bürgerlichen in der überheizten Wohnung zu zeichnen, so stellte ich es mir vor,
ich gehörte keinesfalls zu der Kasperkohorte, zu den Armseligen und Unaufmerksamen, denen die bürgerlich inspirierte Liebenswürdigkeit
nicht zusagte. Denn die Freiheit spülte den Adel des Abschaums zuoberst, die Proleten von heute haßten das Theater, die subtilen
Techniken, das Gedämpfte und Verlangsamte, und ich wollte, trotz der Geschlechterverkehrung, die Praxis der Diskretion loben.
Sie aber lachte mir ins Gesicht und sagte, ich sollte sie mit meinem Niveau verschonen, an diesem denkwürdigen Abend wandten
sie sich alle gegen mich, ich war ihr Dompteur, und sie verziehen es mir nicht, daß ich sie bei einer Probe meine heiligen
Laien genannt hatte – nur der Alte hielt sich aus dem Gezänk heraus, und ich beschloß, ihn nie wieder zu gängeln, weil er
sich die Schläfen schwarz färbte.
Die Techniker, die Bühnenbildner, die Schauspieler und sogar der Pförtner forderten die Wiedereinsetzung in alte Rechte, sie
warfen mir vor, zu brüllen statt zu trösten, und der Lügner … die Lügnerin verbreitete das Gerücht, ich wäre schuld an Tomás’
Selbstmord, man hätte ihn nie einem Menschenschinder wie mir zutreiben dürfen. In der kurzen Zeit, die ich ihn kannte, bestand
Tomás darauf, dem Tode nahezu sein, es wird mir keiner die Arbeit abnehmen, so erklärte er mir einmal, ich bin wie geschaffen für das schnelle Ende.
Mit diesen Todessüchtigen mußte ich mich herumschlagen, es nützte nichts, daß ich ihnen manchmal den Vormittag freigab, damit
sie den Schmutz, der sich in ihren Köpfen im Wachzustand sammelte, herausschliefen, ich bat sie sogar, morgens nach dem Aufwachen
auf die Kissen zu schlagen mit der Faust, und ich sagte: Wir atmen unsere Ängste in unsere Träume, und dank dieser Hygieneträume
können wir tagsüber empfänglich bleiben. Tomás, schrie sie daraufhin, Tomás ist tot, du bestreichst meine Füße mit Salböl,
aber das ändert nichts daran, daß er wegen dir einen Nervenzusammenbruch erlitt! Wie merkwürdig doch ihre Worte waren, wie
furchtbar schlimm und unangebracht. Der Schweiß in der Senke zwischen ihren Brüsten brachte das junge Talent fast um, ihre
Brüste zeichneten sich unter ihrem roten Kaschmirpullover ab, weil sie nie einen Büstenhalter trug, und der Junge versuchte
vergeblich, nicht hinzusehen – vielleicht hatte sie Tomás in Bann gehalten, in jenen Tagen, als es ihm noch nicht möglich
schien, Frauen ansehnlich zu finden.
Den Trittstuhl brachte sie zur Probe mit, sie stieg auf die Bühne, stellte ihn genau an die richtige Stelle, machte ihre üblichen
Gelenkigkeitsübungen und verstauchte sich den Fuß – alle sprangen herbei, um ihr zu helfen, nur ich saß auf meinem Sitz im
Saal und dachte an Sabotage. Sie hatte mir meinen Willen gelassen, im Gegenzug sollte ich auf sie verzichten, darauf liefen
ihre Racheakte hinaus: Man bekam nur sie, und wenn man sich einen zusätzlichen Gegenstand wünschte, fiel ihr eine Möglichkeit
ein, sich zum Verschwinden zu bringen.
Ich tat ihr kein Leid an. Ich lobte auch nicht ihre Betäubungskunst. Wann hatte in letzter Zeit eine Frau von mir als von
einem alleinstehenden Mann gesprochen, ich konntemich nicht erinnern. Der Fußweg von dem Haus, in dem ich wohnte, bis zur Probebühne dauerte nicht länger als zwanzig Minuten,
und in den letzten zehn Minuten stieß sie hinzu, die Lügnerin, sie erschien, wann immer ihr der Sinn danach stand, und sie
fing eine Unterhaltung mit mir an, in deren Verlauf sie jedesmal auf den Selbstmörder zu sprechen kam, der verschwendete Mann,
sagte sie, es schmerzt
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