Hiobs Brüder
Ponthieu. Er ist mein Enkel so wie du. Dein Cousin und nächster Nachbar.« Es war unüberhörbar, dass sie keine große Zuneigung für Haimon hegte.
»Mit seiner Gemahlin?«, fragte Alan weiter.
Matilda wandte den Kopf und sah ihn an. »Nein. Mit deiner.«
Zweiter Teil
Alan
Luton, April 1147
Den König aufzusuchen war leichter gesagt als getan, denn niemand schien zu wissen, wo er steckte. »In Coventry«, behaupteten die Mönche in Ely, wo Simon und die Zwillinge am ersten Abend haltgemacht hatten, aber das fand Simon höchst unwahrscheinlich: Der Earl of Chester kontrollierte die Midlands und somit auch Coventry, und der Earl of Chester hielt es mit der Kaiserin Maud, mit deren Nichte er obendrein verheiratet war.
»In Westminster«, hatten die Leute in Cambridge gehört. Dort gedenke König Stephen nämlich zu Ostern Hof zu halten. Das konnte Simon schon eher glauben. Westminster war die einzige der drei traditionellen königlichen Residenzen, wo Stephen sich derzeit sicher fühlen konnte. Und die Leute in Cambridge waren immer gut informiert, wusste Simon, denn der betriebsame Flusshafen, der dem Städtchen einen bescheidenen Wohlstand bescherte, war nicht nur ein Umschlagplatz für allerlei Waren, sondern vor allem für Neuigkeiten.
Also wendeten die Gefährten den Karren nach Süden.
Simons Plan schien aufzugehen. Wohin sie auch kamen, ernteten sie neugierige Blicke, manchmal auch Argwohn, aber niemand behelligte sie. Meist waren die Menschen einfach nur erleichtert, wenn sie feststellten, dass die seltsamen Reisenden sie weder anbetteln noch bestehlen oder umbringen wollten, und ließen sie zufrieden. Sie hatten genug eigene Sorgen nach dem schweren Hungerwinter und den langen Kriegsjahren.
Umso erstaunter waren die drei Gefährten, als sie nach Luton kamen und dort auf einen lebhaften Wochenmarkt stießen, wo die Bauern des kleinen Städtchens und der umliegenden Dörfer lebende Hühner und Gänse ebenso feilboten wie Mehl, Erbsen, Korn und Bier. Die Stimmung war unbeschwert, nahezu ausgelassen. Das erlebte man heutzutage selten in England.
»Seht mal.« Godric wies mit dem Finger auf das Zentrum des Marktgewimmels. Ein Gaukler war mit einem bunt bemalten Karren nach Luton gekommen und offenbar die Attraktion des Tages. Ein Ring von Zuschauern hatte sich um ihn gebildet, während er mit vier Äpfeln jonglierte, und die Leute lachten und klatschten, als er einen davon mit den Zähnen auffing. »Sollen wir ihn fragen, ob wir uns zusammentun wollen?«, scherzte Godric.
»Lasst uns lieber verschwinden, ehe er uns entdeckt und wegjagen will«, entgegnete Simon. »Wir wollen kein Aufsehen.«
Godric seufzte. »Du hast recht.«
Simon schnalzte dem alten Klepper aufmunternd zu, der sich folgsam wieder in Bewegung setzte, und die Zwillinge schauten wehmütig zurück auf den Markt, wo der Gaukler inzwischen begonnen hatte, kleine Tonkrüge zu verkaufen. Was immer sie enthielten – Heilwasser aus einer Feenquelle, ein Wundermittel gegen Zahnweh oder Milch der Heiligen Jungfrau –, sie fanden reißenden Absatz.
»Sollten wir der Bäckerin da vorn nicht wenigstens einen Laib Brot abkaufen?«, fragte Wulfric. »Viel Proviant haben wir nicht mehr.«
Simon schüttelte den Kopf. »Am Südrand der Stadt liegt eine Weggabelung, wo die Straße nach Oxford abzweigt. Dort ist ein Wirtshaus.«
»Wir kehren ein?«, fragte Godric, und seine Augen leuchteten.
»Das sollten wir«, gab Simon zurück. »In Wirtshäusern hört man Nachrichten. Ich will herausfinden, was uns auf dem Weg nach Westminster erwartet.«
»Woher weißt du all diese Dinge über Straßenkreuzungen und Wirtshäuser?«, wollte Wulfric wissen.
»Mein Vater war ständig für König Stephen unterwegs, oft als Bote. Und wenn er heimkam, hat er davon erzählt.«
Simons Erinnerung hatte ihn nicht getrogen. Sie verließen den Marktplatz mit seiner hübschen Holzkirche, fuhren eine Gasse mit bescheidenen Häuschen entlang, und schon hatten sie Luton wieder verlassen. Keinen Steinwurf von den letzten Häusern entfernt gabelte sich die Straße: Die linke führte weiter nach Süden, die rechte nach Westen. Und in der Gabelung stand ein strohgedecktes Haus, langgezogen, aber gedrungen, dessen Hof und Stallgebäude von einem windschiefen Zaun umfriedet waren.
Simon lenkte den Karren in den Hof und kletterte vom Bock. »Lasst uns erst sehen, ob sie Platz für uns haben, ehe wir den Gaul ausspannen. Grendel, du bewachst unsere Habseligkeiten.«
Grendel legte
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