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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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    »Cousin!« Haimons Pranke drosch auf Alans Schulter ein wie ein Knüppel. »Willkommen zu Hause! Was für eine Überraschung.« Sein Lächeln zeigte zu viele Zähne, und seine Augen waren kalt. Alan war auf einen Schlag klar, dass die Wiedersehensfreude seines Vetters sich in Grenzen hielt.
    Er wandte sich an die Frau, die seltsamerweise einen Schritt hinter Haimon zurückgeblieben war und die Estrade nicht betreten hatte. Er neigte höflich den Kopf. »Madame.«
    »Oh, Alan.« Es klang tonlos. »Es ist also wirklich wahr. Du lebst.« Zwei Tränen rannen über ihre Wangen, und ein mattes Lächeln bebte in ihren Mundwinkeln. Ihre Augen waren groß und hellblau, die Nase zierlich, der Mund üppig, die Haut milchweiß … man konnte weiche Knie bekommen von solcher Vollkommenheit.
    Alan rang seine Verlegenheit nieder, ging die flache Stufe hinab auf sie zu und nahm ihre Hände. »Ich lebe. Aber ich bin als Fremder heimgekehrt. Für mich ist es, als sähe ich Euch heute zum ersten Mal, und ich weiß Euren Namen nicht.«
    Sie zog erschrocken die Luft ein und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Ihre zierlichen Hände entglitten den seinen.
    »Du hast dein Gedächtnis verloren?«, fragte Haimon fassungslos.
    Alan sah ihn an. »So ist es.«
    »Komplett?«, bohrte sein Cousin weiter. »Kannst du dich an überhaupt nichts erinnern? Nicht an unsere Kindheit in Helmsby?«
    »Nur an die vergangenen drei Jahre.«
    »Gott, ist das wahr? Nicht an Robert of Gloucester und die Schlacht von Lincoln? Ich meine … wie kann man so etwas vergessen?«
    Alan antwortete nicht. Er betrachtete seinen Cousin: ein Mann von kompakter, kräftiger Statur, der seine feinen Kleider mit scheinbar verächtlicher Nachlässigkeit trug. Das gewellte dunkle Haar fiel auf breite Schultern, und in den nahezu schwarzen Augen stand ein solches Frohlocken, dass Alan den Wunsch verspürte, die Faust zu ballen und in dieses Gesicht zu schmettern, auf dass der Ausdruck unverhohlener Schadenfreude weggewischt würde. Stattdessen antwortete er: »Ich habe alles vergessen, Cousin. Auch dich und den Grund für deinen Hass auf mich. Wir könnten also ganz neu anfangen, du und ich. Überleg es dir.« Mir ist es gleich, hätte er noch hinzufügen können, denn es war die Wahrheit. Aber der Umgang mit den überaus komplizierten Menschen, mit denen er die letzten Jahre verbracht und für die er in gewisser Weise gesorgt hatte, hatte ihn zumindest eines gelehrt: Wer sein Ziel erreichen wollte, musste Brücken bauen, statt sie niederzubrennen.
    Seine Offenheit hatte Haimon für einen Moment sprachlos gemacht.
    Lady Matilda wies mit einer einladenden Geste auf die Tafel. »Kommt. Ihr müsst durstig sein nach einem halben Tag im Sattel. Nimm Platz, Susanna. Alan, Haimon, kommt schon.«
    Susanna . Was für ein schöner Name, dachte Alan. Verstohlen beobachtete er seine Gemahlin, die seine Großmutter an die hohe Tafel begleitete. Susanna bewegte sich mit der mühelosen Grazie einer wahren Dame, und wenn er die Art, wie sie beim Erklimmen der Stufe den Rocksaum anhob, ein wenig affektiert fand, lag es gewiss nur daran, dass er so lange keine echte Dame mehr gesehen hatte.
    Er setzte sich zwischen seine Großmutter und seine Frau, Haimon nahm an Susannas linker Seite Platz. Offenbar hatte die Ankunft der Gäste sich schon bis in die Küche herumgesprochen, denn Emma erschien in Begleitung einer jüngeren Magd, und sie trugen wässrigen Wein und Brot auf. Nichts sonst.
    Seufzend griff Haimon nach seinem Becher, nahm einen tiefen Zug und raunte Emma zu: »Dieses Jahr kommt die Fastenzeit mir endlos vor.«
    Sie nickte. »Aber es sind nur noch ein paar Tage, Mylord.« Sie sprach ohne Scheu, legte jedoch eine Art höflicher Distanz an den Tag, die Alan noch nicht an ihr kannte. Das junge Mädchen, das die Becher getragen hatte, stand mit gesenktem Kopf einen Schritt hinter Emma und wünschte sich offenbar meilenweit fort.
    »Lass die Köchin wissen, dass wir gekommen sind«, trug Susanna Emma auf. »Sag ihr, ihre Aalpastete hätte mir ganz besonders gefehlt«, fügte sie vielsagend hinzu.
    Emma lächelte pflichtschuldig. »Gewiss, Mylady.«
    Susanna wartete, bis die Mägde die Halle verlassen hatten. Dann fragte sie Alan: »Wo bist du gewesen?«
    »Eingesperrt. In einer Inselfestung. Die Mönche, bei denen ich irgendwie gestrandet war, sagten, ich sei besessen – was übrigens nicht stimmt, wie ich inzwischen gelernt habe −, und sie brachten mich dorthin. Vor gut

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