Hiobs Brüder
Wenngleich er nicht wusste, worum er Gott bitten sollte. »Schick mich zurück auf die Insel«, schien ihm ein törichter, obendrein gefährlicher Wunsch. Dort hatte er ebenso wenig gewusst, wer er war, wie hier. Nur die Rolle, die ihm dort zugefallen war, hatte er auszufüllen vermocht. Hier nicht. Er konnte nicht Lord Helmsby sein, nicht Matildas Enkel, ganz gewiss nicht Susannas Gemahl. Also hatte er gebetet und Gott schließlich angefleht, ihn von diesem Elend zu erlösen. Egal wie, Herr. Schick einen Blitz, der mich erschlägt. Lass auch den Rest von mir dem Vergessen anheimfallen. Alles ist mir recht. Nur lass das hier vorübergehen …
Darüber war es dunkel geworden. Er hörte das Rascheln von rauem Stoff. Füße in geflickten Sandalen erschienen am Rand seines Blickfeldes. Dann ließ King Edmund sich an der gegenüberliegenden Säule nieder, kreuzte die Sandalen auf Cædmon und schaute genau wie Alan auf das Licht am Altar.
»Ich kann das nicht, Edmund. Ich bin nicht mehr der, für den sie mich halten.«
»Vermutlich doch. Du hast es nur vergessen.«
Aber Alan schüttelte den Kopf. »Glaubst du nicht, dass die Jahre auf der Insel jeden von uns verändert haben?«
»Ganz gewiss haben sie das. Es war eine Zeit der Prüfung und der Läuterung, die keinen von uns unberührt gelassen hat. Keinen außer Regy. Aber das bedeutet nicht, dass du ein geringerer Mann bist als der, der irgendwann von hier aufgebrochen ist. Im Gegenteil. Gott hat dich auf die Insel geschickt, um dich stärker zu machen. Vielleicht auch, um dich zu ändern, das mag sehr wohl sein. Hab ein wenig mehr Geduld mit dir. Selbst wenn du dich nicht erinnerst, wirst du dich an diese Menschen hier gewöhnen. Und an die Erwartungen, die sie an dich stellen.«
»Es fühlt sich nicht so an«, bekannte Alan.
»Wir sind erst seit drei Tagen hier.«
»Und mit jeder Stunde, die vergeht, fühle ich mich hilfloser und verlorener.«
»Dann bist du hier genau richtig.« Edmund wies auf den Altar, der fast völlig im Dunkeln lag. »Ich habe auch gedacht, ich könnte nicht tun, was Gott von mir verlangte. Mich meinen Feinden ausliefern und mich von ihnen geißeln und abschlachten lassen. Aber es ging. Weil Gott mir die Kraft gegeben hat, die nötig war. Du musst dich ihm anvertrauen, Lo… Alan, dich ganz und gar in seine Hände begeben. Dann bist du gut aufgehoben und wirst dich niemals verloren fühlen.«
Ich bin kein Auserwählter, wollte Alan entgegnen. Kein Heiliger wie du oder der, für den du dich hältst. Aber er sagte es nicht, denn King Edmund hatte ja recht: Er war hergekommen, um Gott zu bitten, ihm irgendeinen Weg zu zeigen, den er gehen konnte.
»Henry ist zurückgekehrt«, berichtete King Edmund schließlich und beendete damit ein langes Schweigen. »Und denk nur, er hat seine zehn Ritter wiedergefunden, die er im Wald verloren hatte. Er hat sie mitgebracht.«
»Dann wird es eng auf meiner Burg. Ich schätze, es wäre zu viel zu hoffen, dass Haimon sich schon wieder verabschiedet hat?«
»Nein, er ist noch hier. Und er ist hingerissen von Henry. Sie haben sich zusammen im Schwertkampf geübt, gemeinsam gegessen, und jetzt sitzen sie in deiner Halle und würfeln.«
Alan verspürte einen Stich der Eifersucht, der ihn vollkommen überraschend traf. Er hatte Henry im Wald aufgelesen. Er hatte ihn nach Helmsby gebracht. Sein grässlicher Cousin hatte kein Anrecht auf Henrys Freundschaft. Mit einiger Verblüffung erkannte Alan, dass ihm nicht alle Dinge gleichgültig waren, die in Helmsby geschahen. Doch er antwortete mit größter Gelassenheit: »Also wird es niemandem weiter auffallen, wenn ich die Nacht hier verbringe.«
»Ich könnte mir vorstellen, dass es deiner Frau auffällt«, gab Edmund trocken zurück.
Bei dem Gedanken, dass Susanna auf ihn wartete, womöglich in seinem Bett, schnürte sich seine Kehle zu, und sein Puls begann wieder zu rasen. Er wusste, wenn er zu ihr ging und mit ihr schlief − vorausgesetzt, dass er überhaupt konnte, was ihm im Moment äußerst zweifelhaft schien −, dann tat er damit einen Schritt, der sich nicht rückgängig machen ließe. Es würde bedeuten, dass er einen Pakt mit ihr schloss, mit Helmsby, mit seiner Großmutter und Guillaume, in gewisser Weise sogar mit Henry und dessen Mutter, Kaiserin Maud. Denn es hieße, dass er sich bereit erklärte, Alan of Helmsby zu sein. Mit allem, wofür dieser Name stand. Und er wusste weder, ob er das konnte, noch, ob er es wollte. Susanna war der Honig,
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