Hiobs Brüder
Ärmste.«
»Wann wollen sie aufbrechen?«, fragte Lady Matilda.
»Im Juni, hört man.«
Matilda schnaubte. »Auf dem Landweg nach Konstantinopel? Im Sommer ? Ich fürchte, die königlichen Kreuzfahrer werden in ihren Rüstungen gesotten. Aber wie dem auch sei. Es war eine glückliche Fügung, dass du nach Hause gekommen bist. Alans … Malheur macht diese Heimkehr schwierig für ihn, obendrein hat er höchst brisanten Besuch mitgebracht, und er braucht dich jetzt an seiner Seite.«
Susanna hob das Kinn. »Es war nicht nötig, mich daran zu erinnern, Madame.«
Matilda zog die Brauen hoch und lächelte kühl. »Vergib mir, mein Kind.«
»Was für brisanten Besuch?«, fragte Haimon neugierig.
Ehe er eine Antwort bekam, betrat Guillaume, der Steward, die Halle. »Entschuldige, Alan, aber du hast versprochen …« Er blieb wie angewurzelt stehen, als er die Ankömmlinge entdeckte. Dann stemmte er die Hände in die Seiten, und die Zornesröte stieg ihm bis in die Stirnglatze. »Ich kann nicht fassen, dass du dich herwagst, Haimon de Ponthieu«, stieß er hervor. »Sitzt an seiner Tafel und isst sein Brot, als wär nichts. Wie tief willst du noch sinken?«
Haimon hob ihm seinen Becher entgegen. »Sei gegrüßt, Guillaume FitzNigel. Du hast mir auch gefehlt.«
Guillaume wies einen anklagenden Zeigefinger auf Haimon und wandte sich an Alan. »Er hat dein Land gestohlen! An dem Tag, als dein Gaul allein nach Hause kam, hat er seinen Steward mit einem Dutzend seiner Finstermänner nach Blackmore geschickt und es beschlagnahmt.«
»Es gehört mir«, teilte Haimon ihm liebenswürdig mit. »Es hat immer zu unseren Ländereien gehört, auch wenn das in Helmsby nie jemand wahrhaben wollte.«
»Das ist eine Lüge«, grollte Guillaume.
Alan erhob sich unvermittelt. »Entschuldigt mich …«
»Aber … du kannst jetzt nicht weglaufen, Alan«, protestierte der Steward. »Es ist dein verdammtes Land.«
Alan schüttelte wortlos den Kopf, ging mit langen Schritten zur Tür und lief die Treppe hinab.
»Es ist ein bisschen viel, was derzeit auf ihn einstürzt«, hörte er seine Großmutter sagen. Sie entschuldigte ihn, wusste er, und das machte ihn wütend.
»Was für ein seltsames Benehmen«, verwunderte sich Susanna.
»Sag ehrlich, Großmutter, kann es sein, dass er nicht ganz bei Verstand ist?«, fragte Haimon belustigt.
»Sein Verstand ist völlig in Ordnung«, grollte Guillaume. »Bei deinem bin ich mir dessen allerdings nicht so sicher …«
Alan lief schneller.
»Gedenkst du, hier die ganze Nacht zu verbringen, mein Sohn?«, fragte King Edmund.
Alan wandte sich nicht um. »Warum nicht?«
Er saß in seiner Kirche auf dem kalten Steinfußboden, den Rücken an die vordere rechte Säule gelehnt, die Füße auf der schmucklosen Grabplatte, in welche nur ein Wort gemeißelt war: Aliesa . Es war das Grab seines Urgroßvaters, wusste er. Dessen Name, Cædmon , zierte die zweite Platte gleich daneben, unter welcher seine normannische Gemahlin ruhte. Im Sommer vor dem Untergang des White Ship waren sie gestorben, hatte Lady Matilda Alan erzählt, beide hochbetagt und im Abstand von nur drei Monaten. Ohne einander hatten sie nicht sein wollen, dieses seltsame Liebespaar, das zum Symbol der Idee geworden war, dass eine Verständigung zwischen Normannen und Angelsachsen möglich sei. Niemand außer diesen beiden lag hier begraben; nur der Erbauer der Kirche und seine Dame – für welche er dieses wundervolle Gotteshaus angeblich errichtet hatte. Und jeder ruhte unter dem Namen des anderen. Alan hatte nichts dagegen, bei ihnen zu sitzen, im Gegenteil. Ihre Gesellschaft war ihm angenehm. Sie und ihre Geschichte waren fern und unwirklich. Zum Grab seiner Mutter hingegen hatte er sich noch nicht gewagt …
Er starrte auf das ewige Licht. »Ich hoffe, sie haben dich nicht geschickt, um mich zurückzuholen? Wie ein verirrtes Schaf?«
»Oh ja, das bist du«, erwiderte King Edmund. »Aber niemand hat mich geschickt. Außer Gott, meine ich.«
Alan nickte. »Gut.«
Er war von seiner Burg geschlichen, und im Schutz des Waldes war er gerannt, bis das Dorf in Sicht kam. Er wusste, das Gefühl, um sein Leben zu laufen, war lächerlich. Und dennoch war es ihm in der Halle mit einem Mal so vorgekommen, als drücke ein monströses Gewicht auf seine Brust, sodass er nicht mehr atmen konnte. So als sei er lebendig begraben.
Also war er geflohen. Wieder einmal. Er hatte sich in der wundervollen stillen Kirche verkrochen und gebetet.
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