Hiobs Brüder
er. Es klang erschüttert.
»Ich rede mit dir, wenn du aufstehst«, gab Alan schroff zurück. »Vorher nicht.«
Henry kam ein wenig schwankend auf die Füße und fuhr zu ihm herum. »Also?« Er biss immer noch die Zähne zusammen, und er war bleich. Zorn, Erschöpfung und Schmerz rangen in seinem Gesicht um die Oberhand, und Alan war nicht überrascht, als der Zorn siegte. »Dein letzter Streich war feige !«
Alan schüttelte langsam den Kopf. »Du hast zugelassen, dass ich hinter dich kam, und warst für diesen Angriff offen. Es war nicht feige, sondern folgerichtig, ihn zu führen. Du hast nichts falsch gemacht, Henry. Du hast einfach weniger Erfahrung als ich. Du denkst an dein Schwert lediglich als Klinge, als Hieb- und Stichwaffe. Aber damit beschränkst du deine Möglichkeiten, denn das ganze Schwert ist deine Waffe, auch das Heft. Das Geheimnis zu überleben besteht darin, niemals, niemals eine Chance ungenutzt zu lassen, die sich dir bietet.« Er verstummte abrupt. Der letzte Satz stammte nicht von ihm, ahnte er. Irgendwer hatte ihm das irgendwann eingeschärft. In einem anderen Leben, so kam es ihm vor …
»Wieso hast du dich so lange davor gedrückt, gegen mich anzutreten?«, verlangte Henry zu wissen. »Wenn du doch wusstest, dass ich dich nicht schlagen kann?«
»Ich wusste nichts dergleichen. Du bist ein sehr gefährlicher Gegner. Ich würde dir nur höchst ungern auf einem Schlachtfeld gegenüberstehen. Aber du bist noch jung. Deine Kräfte sind noch nicht voll entwickelt. Gegen Ende wurdest du müde und darum unachtsam. Es mangelt dir an Ausdauer.«
Henry kämpfte sich aus dem Haltegurt seines Schilds und warf die zersplitterten Überreste wütend ins Gras. »Du hast meine Frage nicht beantwortet. Warum hast du gezögert?«
Alan wischte versonnen mit der Linken über die Wunde, die immer noch blutete. Weil es ihn erschütterte, sich in eine perfekte Kriegsmaschine zu verwandeln? Nein, erkannte er, das war es nicht. »Ich glaube, ich bin einfach kein Freund von Übungskämpfen«, antwortete er schließlich. »Natürlich sind sie notwendig, damit man geschmeidig bleibt und die Fertigkeiten und Handgriffe vervollkommnet, aber irgendwie sind sie auch unnütz. Geradezu lächerlich. Wenn man ein Schwert in die Hand nimmt, dann, um seinen Gegner zu töten, Henry. Nimmt man es in der Absicht in die Hand, ihn nur ja nicht ernstlich zu verletzen, wird der Kampf zur Farce. Das war im Übrigen der zweite Grund, warum du unterlegen bist: Deine Sorge, mich am Kopf zu treffen, war so groß, dass du fast nur auf meine untere Blöße gegangen bist.«
»Und damit Chancen ungenutzt gelassen habe, die sich mir boten?« Wenigstens der Schatten des unbekümmerten Lächelns stellte sich ein.
Alan nickte. »Wäre der Kampf ernst gewesen und ich dein Feind, hättest du mich vielleicht getötet. Das werden wir nie wissen. Darum sage ich, Übungskämpfe sind unnütz. Man kennt sich selbst und seine Fähigkeiten nachher nie wirklich besser als vorher.«
Henry bückte sich nach seinem Schwert und steckte es ein. »Das nächste Mal setzen wir Helme auf«, verkündete er.
»Es wird kein nächstes Mal geben«, entgegnete Alan, während sie Seite an Seite Richtung Zugbrücke zurückschlenderten.
»Oh, komm schon, warum denn nicht?«
»Ich dachte, das hätte ich dir eben dargelegt.«
»Das war ein Haufen Kuhscheiße, Cousin.«
»Nun, wie dem auch sei. Ich stehe leider nicht mehr zu deiner Verfügung. Du hasst es, zu verlieren, und falls du wider alle Wahrscheinlichkeit König von England werden solltest, wäre es sicher unklug, wenn ich mir dein Missfallen zuzöge.«
Henry schnaubte belustigt. »Es stimmt. Bei den Augen Gottes, ich hasse es, zu verlieren. Aber wenn ich König von England werde, kann ich dir befehlen, gegen mich anzutreten, und du wirst es tun oder ins Exil gehen müssen.«
»Ich habe noch Ländereien in Lisieux …«
»Mein Vater hat die Normandie erobert, Alan«, rief Henry ihm in Erinnerung. »Sie wird mir also auch gehören. Das ganze anglo-normannische Reich, das unser fürchterlicher Urgroßvater errichtet hat, wird mir gehören. Du wirst also weit fliehen müssen, um meinem Zorn zu entrinnen.«
»Wenn mir gar nichts anderes übrig bleibt, kann ich immer noch in die Fußstapfen meines Großvaters treten und in den Heiligen Krieg ziehen.«
Henry lachte in sich hinein. »Dann geh doch mit König Louis, diesem hoffnungslosen Trottel, und seiner verruchten Gemahlin Aliénor. Ich schätze, wenn sie
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