Hiobs Brüder
solchen Umständen besonders wohlwollend anhören würde. Immerhin waren sie hergekommen, um ihn in Henrys Namen um eine Gunst zu bitten, die nicht wenig königliche Großmut erforderte. Und Bittstellern stand es nicht an, in bedrohlicher Pose aufzutreten. Zumal es Hochverrat war, des Königs Frieden zu brechen und mit bloßer Klinge seine Halle zu betreten.
»Also?«, höhnte sein Cousin. »Wir harren, Simon.«
Simon dachte nach. Schnell und konzentriert. Dann hieß er die Zwillinge: »Bringt ihn auf die Beine.« Und zu seinem Cousin: »Ich werde dir die Hände fesseln, Richard. Besser, du versuchst nicht, dich loszureißen oder sonst irgendetwas zu tun, um meine Pläne zu durchkreuzen, denn meine Freunde würden nicht zögern, dir die Kehle durchzuschneiden.«
»Im Gegenteil«, brummte Godric. »Es wär uns ein Vergnügen.« Vier Arme zogen Richard unsanft auf die Füße, dann fesselte ihn eins der Händepaare mit dem Strick, den Simon der Wache entrissen und einem der Zwillinge gereicht hatte, während das andere ihn weiterhin am Schopf gepackt hielt und die scharfe Klinge unter seinem Kinn angesetzt hatte. Richard blinzelte verwirrt und schluckte sichtlich. Man konnte sehen, dass ihm das einfach zu viele Hände waren, die mit solch unheimlicher Schnelligkeit und Koordination an ihm herumfuhrwerkten.
Als Godric und Wulfric mit ihrer verschnürten und zumindest momentan zahmen Geisel sicher vor der rückwärtigen Wand standen, wandte Simon sich an die Übrigen. »Setzt euch im Kreis auf den Boden, Gesichter nach außen. Nur du nicht«, wies er den an, den die Kapriolen der Zwillinge so erheitert hatten.
Die übrigen fünf setzten grimmige Mienen auf, gehorchten aber anstandslos.
»Nehmt die Gürtel ab und gebt sie mir.«
Sie wussten, was er vorhatte, fluchten vor sich hin, folgten aber wiederum und nestelten unter den Kettenhemden herum.
Simon fesselte ihnen nacheinander mit den Stoffgürteln die Hände auf dem Rücken und verknotete die losen Enden miteinander. Es würde ein Weilchen dauern, bis sie sich befreien konnten.
Als das Werk zu seiner Zufriedenheit abgeschlossen war, trat er aus ihrer Mitte, hob sein Schwert wieder aus dem Stroh auf und steckte es ein. »Kein Laut«, befahl er. »Wenn auch nur einer von euch um Hilfe ruft, werden meine Freunde de Clare die Eier abschneiden und den Schreihals damit knebeln. Glaubt mir lieber. Sie sind wirklich gefährlich.«
Godric und Wulfric zeigten ein so boshaftes Lächeln, dass es Simon an Regy erinnerte. Die Wachen glaubten ihm mühelos.
Richard de Clare war sehr bleich geworden. Er schloss die Augen, und seine Lippen bewegten sich im Gebet.
Simon gönnte sich einen Moment, um den Anblick seines Cousins zu genießen, dann nickte er dem letzten, nicht gefesselten Soldaten zu. »So. Und du bringst mich jetzt zu König Stephen.«
»In Ordnung«, antwortete der Angelsachse, anscheinend völlig unbeeindruckt von den Ereignissen. Er hielt Simon die Tür auf und ließ ihm höflich den Vortritt. Als sie Seite an Seite durch den Regen gingen, fragte er: »Warum ich, Mylord?«
»Weil du meine Freunde ohne Abscheu und Niedertracht angeschaut hast.«
Ein Lächeln huschte über das bärtige, nicht alte und nicht junge Gesicht. »Meine Schwestern waren genauso.«
Simon war erstaunt. »Ist das wahr? Und sind sie gestorben oder hat man sie getrennt?«
»Gestorben. Vor dreizehn Jahren. Mary starb als Erste. Da holten die Leute aus Biddenden – da leben wir, wisst Ihr –, sie holten einen gelehrten Doktor aus Canterbury, der sagte, er könne sie trennen und Eliza retten. Aber Eliza hat gesagt: ›Zusammen sind wir gekommen, und zusammen gehen wir auch wieder.‹ Eine Stunde später war sie tot.«
»Das tut mir leid«, sagte Simon.
Der Soldat nickte bedächtig. »Sie waren außergewöhnliche Menschen«, erklärte er. »Gütig. Niemals unzufrieden mit ihrem Los, man soll’s nicht für möglich halten. Und mildtätig. Noch heute verteilt man in Biddenden zu Ostern jedes Jahr Brot an die Armen in ihrem Andenken.«
»Sie müssen dir fehlen.«
»Das tun sie. Und hier sind wir, Mylord.«
Sie kamen an das zweiflügelige Tor der großen Halle. Die Wachen dort ließen sie anstandslos passieren, als sie den fremden jungen Edelmann in Begleitung ihres Kameraden sahen.
In einem menschenleeren Vorraum hielten sie an.
»Ist es wirklich nur eine Botschaft, die Ihr dem König überbringen wollt?«, fragte der Wachsoldat.
Simon nickte. »Wie ist dein
Weitere Kostenlose Bücher