Hiobs Brüder
verschlimmert, und er fühlte sich auf seiner Burg eingesperrt. Unter den einfachen Menschen im Dorf kam er sich freier und weniger argwöhnisch beäugt vor, darum floh er immer häufiger dorthin. Das schmeichelte den Bauern, die sich hinter seinem Rücken – aber nicht ohne sein Wissen – zuraunten, der neue Alan sei zwar ein bisschen sonderbar, aber besser als der alte. Und es entzückte den Steward, der Alans häufige Ausflüge ins Dorf nutzte, um sich ihm ungebeten anzuschließen und ihn mit den Gegebenheiten der Pachtverhältnisse und den vielfältigen Problemen des Gutsbetriebs vertraut zu machen. Alan ließ Guillaume gewähren, denn ihm war alles recht, was ihn davor bewahrte, sich mit sich selbst, seiner verlorenen Vergangenheit, seiner Großmutter oder – schlimmster aller Schrecken – seiner Frau befassen zu müssen.
Abends trank er mit Henry und dessen Rittern. Er fand nach wie vor großen Gefallen an seinem jungen Cousin und genoss dessen anspruchslose Gesellschaft, aber er tat es vor allem, um eine Entschuldigung zu haben, in der Halle zu bleiben, statt Susanna in ihrer Schlafkammer zu besuchen. Die Scham darüber versuchte er Abend für Abend im Wein zu ertränken, was er jeden Morgen bitter bereute. Er stand immer später auf, um das Frühstück zu versäumen und seinen Kater zu pflegen. Er ging nicht mehr zur Beichte und nur unregelmäßig zur Messe. Er wusste, so konnte es nicht weitergehen. Er war auf dem besten Wege zu verlottern. Ein Trunkenbold zu werden. Doch was er nicht wusste, war, was er stattdessen tun sollte.
Er kehrte dem Fenster den Rücken. Sein Arm blutete hartnäckig weiter. Alan ließ den hochklassigen Kampf mit einem Lächeln Revue passieren, schenkte Wasser aus einer bereitstehenden Kanne auf der Truhe in die Waschschüssel und wusch das Blut ab. Dann verband er die Wunde mit dem feuchten Tuch, damit er seinen feinen Bliaut nicht vollblutete und sich Emmas Zorn zuzog.
Sein Blick fiel auf die Laute. Er hatte sie seit mindestens einer Woche nicht zur Hand genommen, dabei hatte es ihm anfangs solche Freude bereitet, darauf zu spielen. Unschlüssig betrachtete er das Instrument. Als er es ergriff, tat er es vor allem, um sich zu beweisen, dass er es wagte.
Er setzte sich auf den Schemel am Fenster, beugte den Kopf über den Korpus und stimmte die Saiten. Dann begann er zu spielen, ohne sich Zeit zum Nachdenken zu lassen, überließ die Entscheidung seinen Fingern. Eine Ballade über einen Kreuzfahrer und seinen Schmerz über die Trennung von seiner Liebsten kam dabei heraus. Alan spielte mit konzentrierter Miene und summte die Melodie selbstvergessen mit. Es waren komplizierte Griffe und Läufe, und seine Finger hatten die nötige Geschmeidigkeit noch nicht wieder erlernt. Aber er war zufrieden. Als Nächstes wagte er etwas Schwierigeres, ein ziemlich burleskes Lied über einen alten Edelmann mit einer blutjungen Braut und einem lüsternen Knecht. Die beschwingte Melodie erforderte größere Schnelligkeit, und nach acht oder neun Takten erlitt er Schiffbruch. Seine Finger stockten, und er wusste nicht weiter. Kopfschüttelnd begann er noch einmal von vorn, doch er strauchelte an der gleichen Stelle. Alan schnalzte ungeduldig, begann erneut. Er spielte schneller in der unsinnigen Hoffnung, seine Finger würden einfach über die Gefahrenstelle hinwegfliegen, aber es nützte nichts. Die ersten neun Takte spielte er mit traumwandlerischer Sicherheit, und danach war Schluss, der weitere Verlauf des Liedes war wie aus seinem Gedächtnis getilgt. Alan fluchte. Als er zum vierten Mal ansetzte, wusste er schon, dass er scheitern würde. Und genau so kam es auch.
Er stand auf und ließ das Instrument sinken. Einen Moment stand er reglos neben dem Tisch, die Finger der Rechten locker um den Hals der Laute geschlossen. Dann schwang er das Instrument in einem weiten, beinah gemächlichen Bogen und zertrümmerte die Laute auf der Tischkante.
Die Saiten gaben wie zum Protest einen lauten Missklang von sich, und das Splittern von Holz war ein satter Laut der Zerstörung, der ihm für einen Moment Erleichterung verschaffte.
Vergleichsweise gedämpft klang der Schrei von der Tür.
Alan wandte ohne Eile den Kopf.
Seine Großmutter hatte die Hände vor Mund und Nase gelegt. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie sah genauso aus wie in dem Moment, als er heimgekommen war und sie ihn erkannt hatte. »Diese Laute hat meinem Vater gehört«, hörte er sie sagen, die Stimme von ihren Händen
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