Hiobs Brüder
gedämpft. »Wulfnoth Godwinson hatte sie ihm geschenkt.«
Alan sah nicht hinab, doch spürte er das zerbrochene Instrument in seiner Rechten, fühlte den Korpus an den Saiten pendeln, die jetzt das Einzige waren, was Schallkörper und Hals verband. »Vielleicht war es unklug, mir etwas anzuvertrauen, dessen Wert in seiner Geschichte liegt«, sagte er leise. »Denn ich fürchte, ich beginne alle Dinge und alle Menschen zu hassen, die eine besitzen.«
Lady Matilda ließ die Hände sinken, trat ein und schloss die Tür. Er wusste, sie war erschüttert über den Verlust der Laute, aber wie immer beherrschte sie sich meisterlich. »Ich denke, es wird Zeit, dass wir uns auf die Suche nach der deinen machen, mein Junge.«
»Das ist zwecklos. Mir zu sagen, wer ich bin, wer meine Ahnen sind und was ihre Taten waren, bringt mir mein Selbst nicht zurück.«
»Du hast es noch gar nicht wirklich versucht, scheint mir, und ich habe nichts unternommen, um dir zu helfen. Ich dachte, wenn du deine gewohnte Umgebung und vertraute Menschen um dich hast, kommt irgendwann alles von allein zurück. Darum habe ich zugelassen, dass Guillaume dir ständig nachstellt. Dass Haimon hierbleibt. Und Susanna, natürlich. Sie schien mit die Wichtigste zu sein.«
»Obwohl du sie so leidenschaftlich verabscheust?«
»Sagt wer?«, fragte Matilda entrüstet.
»Dein Gesicht, wenn du sie anschaust.«
»Wenn es so ist, dann bin ich im Unrecht. Sie ist – auf ihre Weise – eine gute Frau. Und du warst geradezu besessen von ihr.«
Er presste die Lippen zusammen. Dann atmete er tief durch und legte die Laute behutsam auf dem Tisch ab. »Bei allem Respekt, Großmutter, aber ich bin es satt, mir anzuhören, wie ich früher war. Ihr alle tut so, als sei der Mann, der ich heute bin, eine Art Irrtum. Ein peinlicher Irrtum, würden Haimon und Susanna vermutlich sagen. Und als müsse ich mir nur mehr Mühe geben, um den Irrtum zu korrigieren. Aber es nützt nichts. Verstehst du? Ich gebe mir Mühe. Ich tue nichts anderes, als zu versuchen, mich zu erinnern, Tag und Nacht. Vor allem nachts. Aber es nützt nichts ! «
Er wandte ihr den Rücken zu, stierte aus dem Fenster, rang um Fassung und wartete darauf, sie sagen zu hören, dass er vielleicht mehr Erfolg mit seinen nächtlichen Bemühungen hätte, wenn er sich nicht jeden Abend volllaufen ließe.
Was sie stattdessen sagte, traf ihn unvorbereitet: »Du warst noch nicht am Grab deiner Mutter.«
»Woher weißt du das?«
Sie kam näher und setzte sich auf einen der Schemel. »Dein King Edmund hat es mir erzählt. Er wohnt ja mehr oder minder in der Kirche, und ihm entgeht nichts, was dort oder auf dem Friedhof vor sich geht.«
»Er ist nicht mein King Edmund.« Und ich werde ihm die Zähne einschlagen, dachte er wütend. Was fällt ihm ein, hinter meinem Rücken mit ihr zu reden?
»Aber es stimmt?«
»Ja.« Alan wandte sich vom Fenster ab, lehnte sich an die Wand daneben und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es stimmt.«
»Warum nicht?«
Er antwortete nicht sofort. Stattdessen studierte er seine Großmutter und versuchte, den Ausdruck der strahlend blauen Augen in diesem alten Gesicht zu deuten. Das war nicht einfach. Matilda achtete immer sorgsam darauf, eine gewisse Distanz zu ihm zu wahren. Zu diesem Fremden, der er geworden war. Darum war ihr Blick nie unmaskiert. Aber er zweifelte nicht an ihrem Wohlwollen. Dies war immerhin die Frau, die Mutterstelle an ihm vertreten hatte. Dass er es nicht mehr wusste, machte es nicht weniger wahr. Das Mindeste, was sie verdient hatte, war Aufrichtigkeit. »Weil ich mich vor ihr schäme«, antwortete er. Es kostete ihn Mühe, das einzugestehen. »So wie vor dir, nur noch schlimmer. Meine Mutter ist gestorben, um mir das Leben zu schenken, und ich war so unachtsam, den entscheidenden Teil dieses Lebens zu verlieren. Darum wage ich mich nicht hin.«
Matilda schüttelte mit einem kleinen Lächeln den Kopf. »Vielleicht wirkt sie ein Wunder, wenn du hingehst, und gibt dir dein Gedächtnis zurück. Das sähe ihr ähnlich.«
Der Frau, die seine Mutter in seiner Vorstellung war, sah es nicht ähnlich. Wenn er an sie dachte, sah er ein blutjunges Mädchen, allein, verängstigt und hochschwanger an einem einsamen, dunklen Ort. Eine Gestrauchelte, die einen hohen Preis für ihre Sünden zahlen musste. Ein Blatt im Wind. Keine machtvolle überirdische Instanz. »Ich fürchte, ich kann an ein solches Wunder nicht glauben, Großmutter.«
»Eigenartig. Wie
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