Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
aufgewachsen, da kennt man die Zeichen. Es ist zu warm und zu still da draußen, und das Licht gefällt mir auch nicht. Es gibt Sturm, verlass dich drauf.«
    »Wann?«, fragte Losian.
    »Heute Abend«, schätzte Wulfric.
    »Und er wird’s in sich haben«, fügte sein Bruder hinzu. Es klang unbehaglich.
    Er ritt allein durch die Wüste. Die Sonne brannte mörderisch von einem Himmel herab, dessen Farbe den Betrachter vielleicht an Veilchen erinnert hätte, wäre man in diesem Glutofen zu solch einer Erinnerung imstande gewesen. Gleißend warf der felsige Boden das Licht zurück, und in der Ferne flimmerten die gewaltigen Mauern von Akkon.
    Er musste die Stadt um jeden Preis vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Doch er wusste, es war aussichtslos. Der Gaul war nur noch Haut und Knochen und nickte bei jedem Schritt müde mit dem Kopf. Kein Schweiß glänzte mehr auf dem beinah schwarzen Fell; das bedauernswerte Tier war zu ausgetrocknet für Schweiß.
    Ihm selbst erging es nicht viel besser, doch wenigstens wusste er, dass sein Ziel in Sichtweite lag. Auch wenn es niemals näher zu kommen schien. Er steckte das Tuch fester, das seinen Kopf vor der Sonne und Mund und Nase vor dem Staub schützte. Durch den festen Stoff war es noch schwerer, die breiige Luft zu atmen, aber alles war besser als der allgegenwärtige Staub.
    Akkon. Dort erhob es sich mit seinen scheinbar unüberwindlichen Mauern, und doch würde es fallen, wenn die Nachricht nicht rechtzeitig ankam.
    Als das Pferd stürzte, befreite er sich aus den Steigbügeln, zog das Schwert aus der Halterung unter dem Sattelblatt und legte es mit ungeschickten Fingern um. Dann zog er die Klinge und kniete sich hinter das entkräftete Tier, das hörbar keuchte. Mit einem raschen Streich schnitt er ihm die Kehle durch. Um es von seinen Qualen zu erlösen, vor allem jedoch, um sein Blut zu trinken. Er hielt die Hände unter den hellroten, sprudelnden Strahl, hob sie an die Lippen und trank gierig.
    »Wenn du das je wieder tust, wirst du aus meinen Diensten scheiden müssen«, sagte eine Stimme zu seiner Linken. Sie klang tief und bedächtig, aber unverkennbar zornig.
    Er ließ die blutbesudelten Hände sinken und wandte sich um. Auf einer kleinen Anhöhe stand ein Mann mit einer Krone auf dem Haupt und einer goldenen Maske vor dem Gesicht.
    »Ich habe es für Euch getan«, wandte er ein, gekränkt über den ungerechten Tadel. »Damit die Nachricht nach Akkon kommt.«
    »Du hast es für dich getan«, widersprach der König von Jerusalem verächtlich. »Weil du eitel und ruhmsüchtig bist.«
    »Vergebt mir.«
    »Vielleicht. Darüber werde ich entscheiden, wenn du Akkon erreichst, ohne Pferdeblut zu saufen wie ein heidnischer Barbar.«
    »Aber wie soll ich hinkommen, wenn ich meinen Namen nicht weiß ?«
    »Das ist deine Prüfung.«
    »Sagt ihn mir ! Ich weiß, dass Ihr ihn kennt, also sagt ihn mir …«
    Die königliche, maskierte Erscheinung verlor an Substanz, verblasste und begann in der Hitze zu flimmern. »In Akkon vielleicht …«
    »Nein, geht nicht fort !«
    Aber seine Verzweiflung berührte den König nicht. Der wandte sich angewidert ab, wurde immer durchsichtiger und verschwand schließlich im Staub, den der heiße Wüstenwind aufwirbelte. Dichte Wolken − weiß wie Knochenmehl − umhüllten den Träumer, wurden zu einem heißen Nebel, und als der sich endlich lichtete, fand er sich an Deck eines Schiffes.
    Keine Spur von Verblüffung, lediglich Erleichterung durchzuckte ihn, als er erkannte, dass es der Hafen von Akkon war, den sie anliefen. Er würde seine Nachricht doch noch rechtzeitig überbringen können. Und zur Belohnung seinen Namen erfahren. Er umklammerte die Reling mit der Linken, beschattete die Augen mit der Rechten und spähte zu den turmbewehrten Kaianlagen hinüber. Das Menschengewimmel am Hafen sah aus wie ein Ameisenhaufen. Pfeilschnell, so schien es, glitt der kleine Segler durch die tiefblaue See. Aus den Ameisen wurden Männer in farbenfrohen Kleidern : Kaufleute, Straßenhändler, Wasserträger und Hafengesindel. Er sah eine Frau, die würdevoll einherschritt und den verschleierten Kopf stolz erhoben hielt, drei weiße Lämmer und einen schwarzen Ziegenbock zum Kai führen, und das war der Moment, da der Sturm losbrach. Von einem Lidschlag zum nächsten verdüsterte sich der Himmel, und das Meer wurde ein schwarzes, schäumendes Ungeheuer. Einen Augenblick sah er die Frau noch am Ufer stehen, dann wurde das Schiff herumgeschleudert und

Weitere Kostenlose Bücher