Hiobs Brüder
Bristol entfernt, als er am übernächsten Vormittag über die Kuppe eines Hügels kam und im Tal vor sich ein Dorf liegen sah. Rauch stieg in den klaren Sommerhimmel auf, und die leichte Brise wehte bitteren Brandgeruch zu ihm herüber.
Alan zügelte sein Pferd, verschränkte die Hände auf dem Sattelknauf und blickte mit verengten Augen auf das Dorf hinab. Mindestens vier der Strohdächer brannten lichterloh. Eine Gestalt – ein junger Mann oder halbwüchsiger Knabe − floh über ein leeres braunes Feld, wurde von einem Reiter verfolgt, eingeholt und niedergemacht. Der Reiter wendete sein Pferd und galoppierte zurück zu den brennenden Katen.
Das Klügste wäre gewesen, zu warten, bis die Reiter getan hatten, wozu sie hergekommen waren, und wieder verschwanden, wusste Alan. Wer konnte ahnen, was sie herführte und wer sie geschickt hatte. Falls irgendwer sie geschickt hatte. Waren es Soldaten des Earl of Gloucester, die die Bauern bestraften, weil sie der Kaiserin Maud in irgendeiner Weise den geschuldeten Gehorsam verweigert hatten? Waren es König Stephens Männer, die einen Verräter suchten? Oder einfach nur räuberisches, mordendes Gesindel?
Er wusste es nicht, und im Grunde war es auch gleich. Er hatte vergessen, wie es war, in diesem verworrenen, sinnlosen Krieg zu kämpfen und für das Recht irgendeiner Kaiserin Blut zu vergießen. Das Blut ihrer Feinde, das Blut wehrloser Bauern, die in irgendeiner Weise zwischen die Fronten geraten waren wie zwischen Hammer und Amboss, sein eigenes Blut. All das hatte er getan, wusste er. Aber nichts von dem hatte mehr irgendeine Bedeutung, und es drängte ihn, kehrtzumachen und einen Weg zu suchen, der ihn weit fort von dem Dorf dort unten im Tal führte.
Stattdessen stieß er Conan sacht die Fersen in die Seiten und trabte den Hügel hinab, ohne so recht zu begreifen, wieso er das tat. Weil er ankommen wollte? Weil er sich beweisen wollte, dass er sich vor so einem belanglosen kleinen Blutbad wie dem dort unten nicht fürchtete? Oder weil er dem Krieg, der angeblich sein Lebensinhalt gewesen war, endlich von Angesicht zu Angesicht begegnen wollte?
Hundert Yards vor den ersten Häusern galoppierte er an und zog sein Schwert. Kaum hatte er das Dorf erreicht, hüllten der Qualm, der Gestank der Angst von Mensch und Tier, Waffenklirren und Schreie ihn ein. Das ganze Dorf stand in Flammen, auch die Kirche war nicht verschont geblieben. Conan scheute, als eine Bö Funken und brennende Strohhalme von ihrem Dach vor seine Hufe wehte, wieherte angstvoll und stieg.
»Hoh«, machte Alan beschwichtigend. Es klang, als sei er die Ruhe selbst, dabei war sein Mund trocken, und sein Herzschlag hatte sich beschleunigt.
Er saß ab, sah sich rasch um und entdeckte niemanden auf dem kleinen Dorfplatz mit dem Brunnen. Er wickelte die Zügel um den Sattelknauf, damit sein Pferd nicht darüber stolperte, band es aber nicht an. »Warte hier, wenn du kannst«, raunte er ihm zu. »Lauf weg, wenn du musst.«
Dann wandte er sich nach links, von wo die Schreie kamen und wo die Feuersbrunst am schlimmsten zu wüten schien. Zwei Männer in halbärmeligen Kettenpanzern kamen aus einer der Katen, der eine hielt in jedem Arm ein Fass, der andere hatte einen Kornsack geschultert. Achtlos gingen sie an Alan vorbei − vermutlich glaubten sie, er sei einer der Ihren –, und er hörte den Größeren sagen: »Ich hoffe, zwei Karren sind genug, um all das Zeug hier abzufahren. Diese verdammten Bauern sind doch alle gleich: Sie jammern dir die Ohren voll, aber ihre Vorratskammern bersten …«
Aus dem nächsten Haus kam eine schreiende Frau gerannt, deren Haar in Flammen stand. Der Ritter mit den Fässern stellte seine Beute hastig ab, lief zu ihr und schlug die Flammen aus. Immer noch schreiend wich sie vor ihm zurück, machte kehrt und floh, aber noch ehe sie hinter der brennenden Kirche verschwand, schnitten zwei Berittene ihr den Weg ab und drängten sie nach rechts, wo sie aus Alans Blickfeld verschwanden.
Er folgte, ohne zu wissen, was er vorhatte. Seine Hände waren feucht, der Qualm brannte ihm in den Augen, und er wusste nicht, ob es der Rauch oder das aufsteigende Grauen war, was ihm das Atmen erschwerte.
Auf der Nordseite des hölzernen Kirchleins war es stiller, das Prasseln der Brände und der Kampfeslärm drangen nur gedämpft hierher, und niemand war zu entdecken. Suchend, das Schwert locker in der Rechten, schaute Alan sich um. Die plötzliche Stille hatte etwas Trügerisches. Und
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