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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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genutzt hatte, um seine Schreckensherrschaft über ganz East Anglia zu errichten. Drei Tage lang hatte Alan ihn gesucht und nie gefunden. Am späten Nachmittag des dritten Tages schließlich war er zu einem einsamen Dorf in den Fens gekommen. Torfstecher lebten dort, arme Leute, aber trotzdem hatte Mandeville seine Finstermänner hingeschickt, es zu brandschatzen. Sie hatten die Frauen geschändet und auch die Kinder nicht verschont. Jetzt wusste Alan auch, woher die Schreie rührten, die er immer hörte, wenn die Finsternis über ihn kam. Es war eine Erinnerung an jenen Tag, an jenes Dorf. An das kleine Mädchen, das Mandevilles Männer sich hatten vornehmen wollen. Und anders als heute hatte er es damals nicht verhindern können, wusste er, denn jemand hatte ihn von hinten niedergeschlagen, ehe er die schaurige Szene erreichte. Und das Nächste, woran er sich klar erinnerte, war der Exorzismus im Kloster St. Pancras.
    Wie in aller Welt war er von Norfolk nach Yorkshire gekommen?
    Und was hatte es mit dem Kreuzfahrermantel auf sich?
    Er wusste es nicht. Aber das spielte im Augenblick auch keine große Rolle. Der Kreis war geschlossen, und das verschaffte ihm ein Mindestmaß an Klarheit.
    Er hatte sein Gedächtnis wiedergefunden, weil er das Gleiche noch einmal erlebt hatte wie bei seinem Gedächtnisverlust: das wehrlose, schreiende Mädchen, die Kinderschänder, der Schlag auf den Kopf.
    Bei der Erinnerung an den Vorfall von damals spürte er einen Nachhall seines Entsetzens und des hilflosen Zorns, und er erkannte, dass Josua ben Isaacs Theorie nicht so abwegig war, wie Alan bislang geglaubt hatte: Er hatte sich verantwortlich gefühlt für das Schicksal des Kindes. Obwohl sein Verstand sehr wohl wusste, dass er keine Macht besaß, um solche Gräueltaten, wie jeder Krieg sie hervorbrachte, zu verhindern, hatte er sich dennoch schuldig gefühlt.
    Weil mein Vater ertrunken ist, statt England ein guter, starker König zu werden, der seinen Frieden wahrt ?
    Wer weiß .
    Jedenfalls hatte es ihn genug gequält, um seinen Geist zu verdunkeln. Womöglich hatte auch der Schlag auf den Kopf das erledigt. Oder beides zusammen. So oder so: Josua hatte auch in diesem Punkt recht behalten: Kehr nach Bristol zurück und suche da, wo du dich verloren hast . Kehr in den Krieg zurück, hatte er wohl gemeint.
    Es hatte schneller und gründlicher funktioniert, als vermutlich selbst Josua für möglich gehalten hätte.
    Und Alan musste nun zusehen, wie er damit fertig wurde …
    Die Sonne stand wie eine geschmolzene Messingscheibe am westlichen Himmel, als William ihn unter den Obstbäumen fand. »Gott sei Dank«, sagte er mit einem unsicheren Lächeln. »Ich fürchtete schon, du hättest dich hier zusammengerollt und seiest verreckt, diskret und in aller Stille, wie es deine Art ist.«
    Alan kam auf die Füße, ehe sein Vetter vor ihm anhielt. »Dafür hättest du ein bisschen härter zuschlagen müssen«, erwiderte er, fuhr sich mit der Linken über den Hinterkopf und zuckte leicht zusammen. »Na ja. Ordentlich gesessen hat es auf jeden Fall.«
    Sie lachten verlegen, sahen sich kurz, beinah verstohlen in die Augen und schlossen sich halbherzig in die Arme.
    »Es tut mir wirklich leid«, beteuerte William, der genauso alt war wie Alan, dessen widerspenstiger brauner Schopf ihm jedoch in Verbindung mit seinen großen dunklen Augen, die immer wie vor Staunen geweitet schienen, etwas Jungenhaftes verlieh. »Ich habe dich nicht erkannt. Und ich dachte, du wolltest …« Er räusperte sich und schlug die Augen nieder. »Ich habe die Situation falsch gedeutet.«
    Alan nickte. »Ich kann mir schon vorstellen, wonach es aussah.«
    »Wie kommst du hierher? Wo warst du? Ich meine …« William brach unsicher ab.
    Alan legte ihm für einen Augenblick die Hand auf den Unterarm und wandte sich dann ab. »Das ist eine lange, nicht sehr erbauliche Geschichte«, sagte er, während sie Seite an Seite Richtung Kirchhof zurückschlenderten. »Ich bin auf dem Weg nach Bristol zu deinem Vater.«
    Eine Erinnerung sprang ihn an, während er das sagte. Seine letzte Begegnung mit dem Earl of Gloucester, Williams Vater, war nicht einvernehmlich verlaufen. Wenn du das je wieder tust, wirst du aus meinen Diensten scheiden müssen , hatte Gloucester ihm gedroht. Mit donnernder Stimme – er hatte ein beachtliches Organ. Gloucester war es also gewesen, der sich in dem Traum hinter der Maske des Königs von Jerusalem verborgen hatte. Noch ein gelöstes Rätsel

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