Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
seine Großmutter gesagt. Und vom Krieg ebenfalls, wie er hier nicht zum ersten Mal hörte. Der Abt von St. Pancras hatte behauptet, er sei von einem Dämon besessen. Alan glaubte inzwischen nicht mehr, dass das stimmte, aber vielleicht konnte man dem Abt gar keinen Vorwurf aus seinem Fehlurteil machen, wenn der Patient eine so ausgeprägte Neigung hatte, unter den Einfluss von Empfindungen und Ideen zu fallen wie unter einen Bann.
    Wieder in Bristol und in der Gegenwart dieses außergewöhnlichen Mannes zu sein löste eine neue Welle von Erinnerungen aus. An die letzten Jahre seiner Kindheit. Den Beginn des Krieges. Es hatte anfangs so rosig für sie ausgesehen. Sie hatten geglaubt, es werde nur ein paar Monate dauern, bis mit der Kaiserin die rechtmäßige Erbin der Krone den Thron besteigen werde. Aber sie hatten sich getäuscht. Und je länger der Krieg sich hinzog, je sinnloser er wurde, desto größer waren Alans Verbitterung und Ungeduld geworden. Gloucesters Besonnenheit und Weitsicht hatten ihn immer nur zornig gemacht.
    »Habe ich …« Alan musste sich räuspern. »Habe ich Euch wirklich einen Feigling genannt?«
    Sein Onkel hob mit einem kleinen Lächeln die Schultern. »Du warst sehr überzeugt von der Richtigkeit deines Weges. Ja. Du hast es gesagt.«
    Alan schüttelte verständnislos den Kopf. Dieser Mann hatte Vaterstelle an ihm vertreten, ihn mit großer Herzlichkeit nicht nur in seinen Haushalt, sondern in seine Familie aufgenommen. Er hatte ihm alles beigebracht, was Alan über Kampftechnik und Kriegshandwerk wusste. Und er hatte zumindest versucht, ihm beizubringen, was Ehre und Anstand bedeuteten. Er war ein harter, unerbittlicher Lehrmeister gewesen, aber Alan hatte nie Anlass gehabt, an seiner Zuneigung zu zweifeln. Oder an seiner Integrität. Wieso war es ihm dennoch unmöglich gewesen, auf sein Urteil zu vertrauen?
    Seufzend ließ er sich in seinen Sessel zurücksinken. »Ich finde es heute schwer zu begreifen, warum ich das gesagt oder gedacht habe. Mein Enthusiasmus für diesen Krieg ist mir abhandengekommen. Die Überzeugung von der Richtigkeit meines Tuns erst recht.«
    »Wie ich sagte. Du bist erwachsen geworden. Davon abgesehen habe ich mich manch finstere Stunde lang gefragt, ob du nicht vielleicht recht hattest mit deinem Vorwurf. Ich habe keine befriedigende Antwort gefunden. Aber eins ist gewiss: Ich bin diesen Krieg satt.« Und wie ein Echo von Alans erstem Gedanken fügte er hinzu: »Ich werde alt, Alan.«
    Der betrachtete seinen Onkel. Die hohe Stirn war gefurchter als früher, das schwarze Haar ergraut. Aber mehr als alles andere waren es die dunklen Augen, die ihn greisenhaft wirken ließen. Sie hatten ihren Glanz verloren, und ihr Ausdruck sprach von tiefer Erschöpfung. »Dann lasst mich die Bürde fortan tragen«, hörte Alan sich sagen. »Ich schwöre, ich werde es verantwortungsvoller tun als früher.«
    »Ich bin sicher, das würdest du«, erwiderte Gloucester. »Dennoch bin ich zögerlich, dein Angebot anzunehmen und zuzulassen, dass du dein Leben verschwendest oder sogar verlierst.«
    »Ich merke, Ihr habt den Glauben an unsere Sache verloren«, stellte Alan fest, nüchtern, aber ohne Vorwurf.
    »Ich habe den Glauben an meine Schwester verloren, wenn du die Wahrheit wissen willst. Seit fünf Jahren hockt Maud in Devizes, trauert ihrer Vergangenheit als deutsche Kaiserin nach und rührt keinen Finger mehr für England. Sind wir doch mal ehrlich, England war ihr immer völlig gleich. Mein Vater hat einen Fehler gemacht, als er sie gezwungen hat, die Thronfolge zu beanspruchen. Maud wollte diese Krone nie wirklich haben. Manchmal hätte ich nicht übel Lust, mich ins Privatleben zurückzuziehen und England Stephen zu überlassen, wäre er kein solcher Wurm.«
    »Die Kaiserin mag kein echtes Interesse an England und seiner Krone haben, aber ich glaube, mit ihrem Sohn verhält es sich anders.«
    Gloucester sah auf. »Deine Großmutter schrieb, du habest ihn mit nach Helmsby gebracht. Erzähl mir von ihm. Ich kannte ihn als Knaben. Wie ist er geworden?«
    Alan dachte einen Moment nach, bevor er antwortete. Dann entschloss er sich, die Wahrheit zu sagen. »Henry Plantagenet ist … eine Naturgewalt. Er strahlt eine solche Lebendigkeit, eine so kraftvolle Vitalität aus, dass es einem förmlich den Atem verschlägt. Er ist gescheit, sogar gebildet, aber zu rastlos, um je ein Gelehrter zu werden. Gutartig, aber nicht naiv. Ein Raufbold, aber nicht von grausamer Natur. Er hat

Weitere Kostenlose Bücher