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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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der Burg war das Gelände flach und nur mit Gesträuch und jungen Bäumen bewachsen. Losian nahm an, dass dieses Land einmal kultiviert gewesen war, als die Burg noch bewohnt wurde. Das Feld war schwerlich groß genug gewesen, um alle Bewohner zu ernähren, aber gewiss waren sie dankbar für jedes Korn gewesen, das sie nicht vom Festland herschaffen mussten. Er hatte oft versucht, sich vorzustellen, wie es hier zugegangen war, als die Burg noch einen Herrn hatte, der hier mit seiner Familie, seiner Ritterschaft und seinem Gesinde gelebt hatte. Besonders fröhlich und unbeschwert war es an diesem Hof wahrscheinlich nicht zugegangen, dafür war diese Insel zu rau und das furchteinflößende Meer zu nah. Aber die Menschen hatten wohl das Beste aus ihrem Leben gemacht, hatten ein bisschen Gerste oder Roggen angebaut, ein paar Ziegen und Schweine gehalten, waren im Wald auf der Ostseite zur Jagd geritten und anschließend zu einem prasselnden Feuer und Bier und gutem Essen in die Halle zurückgekehrt, wo die Frauen saßen und spannen und webten.
    Ein hartes, aber ein gutes Leben. Genug, um einen Mann zufriedenzustellen, wenn er wusste, wohin er gehörte und wer er war …
    Simons Stimme riss ihn aus seinen Gedanken: »Wir könnten schwimmen.« Es klang verdrossen.
    »Was?«, fragte Losian verwirrt.
    »Du hast verlangt, ich soll dir sagen, wie wir übers Meer kommen. Wir könnten schwimmen. Es kann nicht viel mehr als eine Meile sein. Eine Strecke, die ein guter Schwimmer schaffen sollte.«
    »Wenn die Strömung nicht wäre.«
    »Ach, aber du nennst mich einen Feigling, ja?«
    Losian hob reumütig die Linke. »Das hätte ich nicht sagen sollen. Du bist kein Feigling.«
    Simon blieb stehen. »Wieso kannst du mich nicht ausstehen, Losian?«
    Der hielt ebenfalls an und wandte sich zu ihm um. »Wie in aller Welt kommst du darauf?«
    Der Junge schnaubte. Es sollte verächtlich klingen, aber sein Blick verriet, wie gekränkt er war. »Es ist kaum zu übersehen. Du bemängelst alles, was ich sage und tue, und letzte Nacht hast du mich einen Lügner geschimpft.«
    Losian deutete eine Verbeugung an. »Dafür entschuldige ich mich. Ich war ein wenig … erregt letzte Nacht. Wenn du’s genau wissen willst, ich war sicher, wir würden alle draufgehen. Da sagt man unbedachte Dinge.«
    »Und trotzdem ist es so«, beharrte Simon. »Nicht, dass es mir etwas ausmacht«, fügte er brüsk hinzu. »Ich wüsste nur gern den Grund.«
    Ich kann dir den Grund nicht nennen, denn ich weiß ihn selbst nicht, dachte Losian. Es stimmte nicht, dass er den Jungen nicht mochte, im Gegenteil. Aber Simon brachte ihn in Rage. Für einen normannischen Edelmann von fünfzehn Jahren war er viel zu verzagt und zu empfindsam. Ein Dutzend Mal am Tag fand Losian sich versucht, ihm zu befehlen, sich zusammenzureißen, mehr Verantwortung für die Bewältigung ihres täglichen Lebens zu übernehmen, ihm endlich einen Teil dieser Bürde abzunehmen. Er wusste, dass der Junge ein furchtbares Schicksal erlitten hatte, von seiner eigenen Familie verstoßen und verraten worden und mutterseelenallein auf der Welt war. Doch aus irgendeinem Grund konnte Losian ihm all das nicht zugutehalten.
    »Das bildest du dir ein, Simon. Ich …« Er brach ab. Ich selbst bin derjenige, den ich nicht ausstehen kann , dachte er und spürte, wie dieses Nichts, diese grauenvolle Leere in seinem Innern sich auftat. Diese erbärmliche Kreatur ohne Namen und Vergangenheit . Er ging weiter Richtung Wald. »Ich bin überzeugt, du wärest mutig und kräftig genug, eine Meile weit zu schwimmen, aber die Strömung ist ein Problem. Hast du nicht gesehen, welche Mühe die Brüder bei der Überfahrt hatten, ihr Boot auf Kurs zu halten?«
    »Doch«, musste Simon einräumen, der mit gesenktem Kopf neben ihm durch den Schlamm stapfte. »Aber müssen wir es nicht trotzdem wenigstens versuchen?«
    »Wozu, wenn doch feststünde, dass wir ertrinken?«
    »Wir könnten ein Floß bauen! Aus den Stämmen der Palisaden und …«
    »Wenn wir genügend Seil hätten, um die Stämme aneinanderzubinden, vielleicht.«
    »Verflucht noch mal, Mann, wir müssen doch von hier weg, eh die Mönche kommen und uns wieder einsperren!«, ereiferte Simon sich, und Losian hörte die nackte Angst in seiner Stimme.
    »Nicht bevor wir einen Weg gefunden haben, der nicht für alle ins sichere Verderben führt«, entgegnete er entschieden.
    Simon stieß die Luft aus. »Du willst überhaupt nicht von hier weg! Ist es nicht so? Du

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