Hiobs Brüder
Aber wie in allen Dingen zog sie es auch bei der Liebe vor, diskret zu sein, und es war ihr unangenehm, wenn sie sich am helllichten Tage mit unschwer durchschaubaren Absichten zurückzogen. Darum machte er einen anderen Vorschlag: »Lass uns aus Helmsby verschwinden, was meinst du? Nur für ein paar Tage.«
»Wohin?«
»Nach Norwich.«
»Du willst versuchen, den Bischof umzustimmen?«, fragte sie skeptisch.
Alan schnaubte. »Ebenso gut könnte ich versuchen, die Flut umzustimmen. Nein. Wir besuchen deine Familie. Und wir nehmen Luke und Oswald mit, wie ich es ihnen versprochen habe.«
Ihre Augen leuchteten auf. »Das wäre wunderbar, Alan.«
Er beugte sich lächelnd zu ihr herüber und hauchte ihr einen Kuss auf den Mundwinkel. »Dann ist es abgemacht.«
»Und auf dem Rückweg reiten wir nach Metcombe, und du stellst mir deine Tochter vor?«
Ihm blieb fast das Herz stehen. »Woher weißt du von ihr?«
Miriam zog die Brauen in die Höhe und sah ihn nur an.
Er hob die Hände zum Zeichen der Kapitulation. »Was immer du willst.«
Sie belohnte ihn mit einem Lächeln königlicher Huld.
Devizes, Oktober 1147
Mit dem Herbst war die Nachricht nach Helmsby gekommen, dass der Gesundheitszustand des Earl of Gloucester sich rapide verschlechtert hatte. Alan war an einem nasskalten, stürmischen Tag aufgebrochen, und das Wetter hatte sich während der ganzen Reise nicht gebessert. Trotzdem hatte er weder sich noch sein Pferd geschont. Er wusste, er musste sich beeilen.
Auf schlammigen Straßen gelangte er über Oxford nach Wiltshire und kam am fünften Tag bei Sonnenuntergang in den kleinen Marktflecken Devizes, dessen schäbige Häuschen sich im Schatten der gewaltigen grauen Burg auf der Motte zu ducken schienen. Kein Mensch war auf der Straße zu sehen, und einige der Häuser wirkten dunkel und verlassen. Wegen der strategischen Bedeutung seiner Festung hatte Devizes in den beinah neun Jahren Krieg furchtbar gelitten, war mal von König Stephen, mal von den Truppen der Kaiserin Maud belagert, eingenommen und geplündert worden. Letztere hatten es schließlich behalten, und seit fünf Jahren hatte besagte Kaiserin sich hinter den dicken Mauern verschanzt und sie, so wurde gemunkelt, kein einziges Mal verlassen.
Die Zugbrücke war erwartungsgemäß geschlossen. Alan hielt am Rand des Grabens, nahm den Helm ab und ließ sich einen Moment den Regen auf den Kopf prasseln. Es machte nichts. Er war so oder so bis auf die Knochen durchnässt, und das Wasser erfrischte ihn. Er klopfte Conan den Hals und sagte: »Vierzig Meilen pro Tag. Wir waren gar nicht schlecht, bedenkt man das Wetter.«
»Wer da?«, brüllte eine Stimme aus der Wachkammer des Torhauses.
»Alan of Helmsby«, rief er hinüber.
Das hätte natürlich jeder behaupten können, aber die Zugbrücke begann sich unter vernehmlichem Kettenrasseln zu senken. Noch war es hell genug, um den Wachen zu zeigen, dass der Reiter allein gekommen war. Im Umkreis von zwei Meilen war jeder Baum gefällt worden, um der Gefahr eines Überraschungsangriffs zu begegnen. Die Kaiserin hatte sich in Devizes selbst zur Gefangenen gemacht, aber sie hatte alle Vorkehrungen getroffen, um keine Gefangene ihres verhassten Cousins Stephen zu werden.
Als Alan über die Brücke ins Torhaus ritt, erwarteten ihn zwei gerüstete und bis an die Zähne bewaffnete Wachen, die blanken Klingen in Händen. Einer hielt in der Linken eine Fackel und reckte sie hoch, bis sie das Gesicht des Ankömmlings beleuchtete. »Jesus in der Krippe … Ihr seid es wirklich.«
Alan nickte und saß ab. »Guy de Belfort. Ich habe Euch seit der Schlacht von Lincoln nicht mehr gesehen, glaube ich.« Er wusste, der vierschrötige Normanne zählte seit jeher zu den treuesten Leibwächtern der Kaiserin, was ihn indes nie gehindert hatte, mit deren Bruder in die Schlacht zu ziehen, wenn sie ihn entbehren konnte.
De Belfort winkte seufzend ab. »Das waren noch Zeiten. Da passierte wenigstens noch was. Ihr wollt zu ihr, nehme ich an?«
»So schnell wie möglich.«
Der Leibwächter steckte sein Schwert ein und trug seinem Gefährten auf: »Lass die Brücke wieder einziehen, Pierre, und jemand soll den Gaul versorgen. Kommt mit mir, Monseigneur. Sie empfängt heutzutage so gut wie niemanden mehr, aber ich schätze, für Euch wird sie eine Ausnahme machen.«
Aus dem Torhaus kamen sie zurück in den prasselnden Regen, und ihre Stiefel spritzten Schlamm auf, als sie durch den Innenhof zum steinernen Bergfried eilten.
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