Hiobs Brüder
denn er wollte nicht, dass sie sich belauert fühlte, während er ihr einen so hässlichen Schock versetzte. »Ich bin hier, um Euch zu ihm zu bringen. Falls es Euer Wunsch ist. Es wird ein höllischer Ritt durch grässliches Wetter, aber es sind nur dreißig Meilen bis nach Bristol. Wenn Ihr mir ein frisches Pferd borgt und wir sofort aufbrechen, kommen wir noch im Schutz der Dunkelheit an.«
Es war so lange still, dass ihm unbehaglich wurde, und schließlich murmelte er: »Ich warte draußen, bis Ihr Euch entschieden habt, Madame.«
»Nein, bleib nur«, bat sie unerwartet und streckte die Hand nach ihm aus. Es war eine zögerliche Geste – ganz und gar untypisch. »Mein Bruder Gloucester … liegt im Sterben«, wiederholte sie leise. Ungläubig. »Ich wusste, dass er krank ist. Aber ich hätte niemals gedacht, dass er geht, bevor unser Werk getan ist.«
»Ich bin sicher, es ist nicht sein Wunsch. Aber ich habe viele Männer sterben sehen, die noch große Pläne hatten. Es passiert.«
Zuerst glaubte er, sie werde nicht antworten. Es war gewiss nur der Schrecken, der sie für einen Augenblick bewogen hatte, die Maske zu senken. Für gewöhnlich wäre sie im Traum nicht darauf gekommen, ein persönliches Wort an ihn zu richten. Denn er war ein Nichts in ihren Augen, ein Bastard, allenfalls ein nützliches Werkzeug, aber nicht mehr wert als der Staub unter ihrem Seidenschuh. Sie war eine vom Papst gekrönte Kaisern. Vermutlich war sie der einzige Mensch auf der Welt, für den die englische Krone nicht wirklich gut genug war …
»Oh ja. Das weiß ich nur zu gut«, antwortete sie unerwartet. »Bei meinem ersten Gemahl war es genauso. Aber Gloucester kam mir immer stärker vor als gewöhnliche Sterbliche.«
Alan nickte. »Wir haben uns getäuscht, Madame.«
Abrupt sah sie ihn wieder an, und eher versehentlich erwiderte er ihren Blick.
»Du trauerst«, bemerkte sie überrascht.
Er biss die Zähne zusammen.
»Natürlich«, ging ihr auf. »Er war für dich das, was einem Vater am nächsten kommt, nicht wahr?«
»Könntet Ihr gütigst damit aufhören?«, knurrte er. »Oder ist Euch so daran gelegen, mich heulen zu sehen?«
»Lieber du als ich«, konterte sie. »Wenn du die Fassung verlierst, werde ich meine behalten, und daran wäre mir in der Tat sehr gelegen.«
Seine Augen brannten, und mit einem Mal spürte er Erschöpfung wie einen schweren, nassen Wollmantel auf den Schultern. »Wollt Ihr zu ihm?«
Die Kaiserin nickte, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Warum tust du das?«
»Was?«
»Kommst hierher und bietest mir dein Geleit an? Unaufgefordert. Ich kann mich nicht entsinnen, je ein freundliches Wort zu dir gesagt oder dir für all das gedankt zu haben, was du für meine Sache getan hast. Also, warum?«
»Ich tu’s für ihn«, erklärte er kurz angebunden.
Sie verzog höhnisch die Mundwinkel. »Du weißt genau, dass ich der letzte Mensch bin, den er sich an sein Sterbebett wünscht, denn ich habe immer zwischen ihm und der Krone gestanden, nach der er sich insgeheim sehnte. Also, sag mir die Wahrheit.«
»Hätte ich gewusst, dass Ihr mich diesem Verhör unterzieht, wäre ich gewiss nicht gekommen«, antwortete er bissig. »Was spielt es für eine Rolle?«
Sie sah ihn unverwandt an, so als hätten sie alle Zeit der Welt.
Alan verdrehte ungeduldig die Augen. »Na schön«, grollte er dann. »Es erschien mir richtig, das ist alles. Ihr solltet an seiner Seite sein, denn Ihr seid seine Schwester. Und ich dachte, vielleicht sollte ich derjenige sein, der Euch zu ihm bringt, weil es an der Zeit ist, dass ich einmal wirklich etwas für Euch tue. Alles, was ich in Eurem Krieg vollbracht habe − was immer es wert sein mag −, habe ich aus Zorn über den Tod meines Vaters getan. Für ihn oder womöglich für mich, nie für Euch, meine rechtmäßige Königin. Und ich dachte, dies hier sei möglicherweise meine letzte Gelegenheit, das nachzuholen.«
Mit einem Mal war die Kaiserin diejenige, die um Haltung rang. Ohne Hast ging sie zum Tisch, wandte Alan den kerzengeraden Rücken zu und trank einen kleinen Schluck Wein. Es dauerte einen Moment, bis sie den Pokal zurückstellte. Dann sah sie Alan wieder an. »Weißt du, ich kannte in meinem Leben nur einen Menschen, der in der Lage gewesen wäre, etwas so Törichtes zu sagen und zu tun, und das war dein Vater. Du bist ihm so ähnlich, Alan.«
Er lächelte. Er wusste, er könnte hundert Jahre warten und würde doch niemals ihr Eingeständnis hören, dass
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