Hiobs Brüder
seinem Arm. »Alan.«
Es klang eher scharf als ängstlich. Und natürlich hatte sie recht. Gegen die sechs Hünen und Haimon konnte er nichts ausrichten, und wenn er seinen Cousin angriff, würde er alles nur noch schlimmer machen. Und doch wusste er kaum, wie er sich hindern sollte. Der Gedanke, dass Miriam das Heim, das ihr ein sicherer Hafen geworden war, schon wieder verlieren sollte, drohte ihn völlig kopflos zu machen.
»Hör lieber auf sie«, riet Haimon. »Sonst könnte ich dich für die letzte Nacht hier auch in das Verlies werfen lassen, das du so vorausschauend gebaut hast.«
Lady Matilda kam auf die Füße. »Haimon! Untersteh dich!«
Ehe ihr Enkel etwas erwidern konnte, sagte Susanna: »Ihr habt hier Euren letzten Befehl erteilt, Madame. Haimon ist gewillt, Euch in Helmsby zu dulden, aber unter Vorbehalt.«
»Lieber erfriere ich in den Fens, als auch nur eine Nacht unter seinem Dach zu verbringen«, teilte die alte Dame ihr mit.
Susanna breitete kurz die Hände aus, um anzuzeigen, dass ihr das mindestens genauso lieb wäre. Dann wandte sie sich an Alan. »Worauf wartest du?«
Alan nahm seine Frau bei der Hand, umrundete die Tafel und blieb vor Susanna stehen. »Genieße deinen Triumph, solange er währt. Denn ich habe mein Versprechen nicht vergessen.«
Sie presste die Lippen zusammen und zischte dann: »Haimon, es wäre klüger, du würdest ihn töten.«
»Zweifellos«, antwortete der seufzend. »Aber das kann ich nicht, denn er ist mein Cousin. Außerdem finde ich die Vorstellung viel reizvoller, dass er bei Eisregen durch die Wildnis irrt, heimatlos und bettelarm.« Schmunzelnd sah er Alan in die Augen. »Die Vorstellung wird mich manch eisige Winternacht lang wärmen.«
»Ich habe nicht die Absicht, bei Eisregen durch die Fens zu irren«, verkündete Alan grimmig, als er sich wenig später mit seiner Frau und seiner Großmutter in Gunnilds Kate einfand, wo seine Gefährten ihn schon erwarteten. Haimon hatte sich strikt geweigert, ihnen für die Nacht noch Obdach auf der Burg zu gewähren, und beim ersten Tageslicht mussten sie Helmsby verlassen haben.
»Dazu besteht auch keine Notwendigkeit«, sagte Simon in die kurze Stille hinein. »Kommt mit mir nach Woodknoll. Gib mir die Chance, mich endlich einmal für alles erkenntlich zu zeigen, was du für mich getan hast.«
Alan nickte knapp. »Hab Dank, Simon.«
Der junge de Clare hörte an dem kühlen Tonfall, wie schwer es Alan fiel, seine Gastfreundschaft anzunehmen, wie tief es ihn demütigte. Aber ein Mann, der exkommuniziert und enteignet war, konnte sich Stolz nur in sehr geringem Maß leisten. Alan musste jetzt vor allem an seine Frau und die alte Dame denken.
Gunnild wies auf die Bank neben dem Herd. »Hier, Lady Matilda. Setzt Euch und trinkt einen Schluck Ale, solange es noch heiß ist.«
Alans Großmutter nickte dankbar und kam der Einladung nach, obwohl sie wie alle Helmsbys heißes Bier verabscheute. Dann sah sie zu ihrem Enkel hoch und bemerkte: »Du nimmst es gelassen, sehe ich.«
Alan stieß hörbar die Luft aus. »Ich glaube, das ist übertrieben.« Er dachte einen Moment nach und fügte dann hinzu: »Es liegt an all dem, was während der vergangenen Monate passiert ist, nehme ich an. Ich habe mich selbst wiedergefunden und wider alle Wahrscheinlichkeit die Frau bekommen, die ich wollte.« Mit einem kleinen, angespannten Lächeln ergriff er Miriams Hand und zog seine Gemahlin näher, bis er den Arm um ihre Schultern legen konnte. »Wie es scheint, haben die Jahre auf der Insel mich gelehrt, dass ich auf alles andere verzichten und dennoch überleben kann.«
»Dann beglückwünsche ich dich zu deiner Weisheit«, warf King Edmund ein.
»Oh ja. Wahrhaftig nur ein weiser Mann konnte in die Lage geraten, in der ich mich befinde.«
Nur die Zwillinge fanden Alans höhnische Bemerkung komisch. Oswald saß im Bodenstroh, hatte den Kopf an Gunnilds Knie gelehnt und weinte leise vor sich hin, seit ihm aufgegangen war, dass sie aus Helmsby fortgingen und er seine neue Freundin verlieren würde. Auch Edmunds Blick war voller Unruhe, bemerkte Simon, denn auch für ihren sonderbaren Hirten war Helmsby eine sichere Zufluchtstätte geworden. Die wundervolle Kirche und die seelsorgerische Betreuung der Dörfler, die ihn so ins Herz geschlossen hatten, waren King Edmunds Lebensinhalt geworden und sein Anker. Vermutlich fürchtete er sich vor der ungewissen Zukunft. Wer weiß, fuhr es Simon durch den Kopf, womöglich glaubt er, es werde
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