Hiobs Brüder
Lippen. Alan nahm einen Weinbecher vom Tisch und reichte ihn ihm am lang ausgestreckten Arm. Haimon nickte zerstreut, nahm den Becher in beide Hände und trank. Ein wenig rann ihm übers Kinn, denn das Zittern hatte sich verschlimmert. Haimon stand unter Schock, wusste Alan.
»Du warst verwirrt und offenbar zutiefst erschüttert, aber nicht rasend, im Gegenteil. Du hast nicht einmal protestiert, als ich dir das tote Kind weggenommen habe. Nur geflennt wie ein Bengel, sonst nichts. Du warst mir so unheimlich, dass ich dich schließlich angebrüllt hab: ›Nimm dich zusammen, Alan of Helmsby.‹ Und du hast mich angeschaut und gefragt: ›Wer soll das sein?‹. Da war mir klar, dass du vergessen hattest, wer du bist. Und das … war der glücklichste Moment in meinem Leben, Alan.« Er hob beinah resigniert die Schultern. »Du warst praktisch ausgelöscht. Endlich war ich dich los. Und ich wusste sofort, was ich tun musste. Einer von Gloucesters Männern hatte mir von St. Pancras erzählt. Es schien mir der perfekte Ort für dich, verrückt, wie du warst. Ich habe dich an einen Baum gebunden. Es war nicht einmal schwierig, du warst völlig willenlos. Dann bin ich nach Fenwick geritten, es war nicht weit von dort, und habe Großvaters Kreuzfahrermantel geholt.«
»Woher hattest du ihn?«, fragte Alan, auch wenn es keine Rolle spielte.
»Er war ein Erbstück. Und er stand mir zu, Alan, denn meine Mutter war die ältere Schwester deiner Mutter. Er stand mir zu genau wie Helmsby. Aber anders als Helmsby habe ich den Mantel auch bekommen. Als ich am nächsten Tag zurückkam, hatte dein Zustand sich verschlechtert. Du hattest Fieber. Ich war nicht einmal sicher, ob du noch lebend in Yorkshire ankommen würdest. Aber ich habe dir den Mantel umgehängt und dich auf ein Pferd gesetzt, und so … kamen wir nach St. Pancras. Ich habe mich den Mönchen unter falschem Namen vorgestellt und gesagt, ich hätte keine Ahnung, wer du bist.« Wieder zuckte er müde die Schultern. »Und das war alles.«
Es war lange still in der Halle. Alan fiel einfach nichts ein, was er hätte sagen können. Drei Jahre. Drei Jahre seines Lebens hatte Haimon ihm gestohlen, hatte ihn ohne Namen und Identität in der Fremde ausgesetzt, ihn dem Exorzismus preisgegeben, der Insel, der Kälte, dem Hunger und der Finsternis. Ihr vor allem. Was konnte man da noch sagen?
Schließlich ergriff Anselm de Burgh das Wort und zeigte zum ersten Mal, seit Alan ihn kannte, einen Funken Anstand. »Es ist unschwer zu erkennen, dass dieses Geständnis Euch unter Zwang abgepresst wurde, mein Sohn. Wenn ich Euch mein Wort gäbe, dass Ihr nichts weiter zu befürchten habt, würdet Ihr es widerrufen?«
Aber Haimon schüttelte den Kopf, und es war Alan, den er ansah, als er sagte: »Ich habe es getan, weil ich einen Anspruch auf Helmsby habe. Es war meine einzige Chance, ihn geltend zu machen. Aber was ich getan habe, hat schwer auf mir gelastet. Ich bin froh, dass es heraus ist. Dass es vorbei ist.«
Vater Anselm war nicht nur Mönch, Priester und Prior, er war vor allem auch Politiker. Und ein kluger Politiker wusste, wann ein Verbündeter nicht mehr zu halten war. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, fast so, als wolle er sich körperlich von Haimon distanzieren, und erklärte kühl: »Das ändert die Situation grundlegend. Ihr werdet gewiss verstehen, dass ich Euch im Lichte dieser Erkenntnisse die Unterstützung des Bischofs und seiner Truppen entziehen muss.« Er stand auf. Mit einem Mal schien er in Eile. »Wir rücken in einer Stunde ab«, teilte er einem seiner Hünen mit. »Sorgt dafür, dass die Truppe bereit ist.« Dann trat er zielstrebig zu Alan. »Die Exkommunikation bleibt bestehen, bis Ihr in Reue und ohne ein ungläubiges Weib in den Schoß der Kirche zurückkehrt. Auch Stephens Enteignungsurkunde kann ich nicht entkräften. Es obliegt indessen Euch allein, ob Ihr sie anerkennen wollt.«
»Denkt nur, Vater, ich will nicht«, teilte Alan ihm frostig mit. »Und nun wäre ich dankbar, wenn Ihr meine Halle verlassen wolltet.«
De Burgh nickte würdevoll und schritt zur Tür, ohne Haimon noch eines Blickes zu würdigen.
Alan wandte sich an Simon, sah ihm einen Moment in die Augen und umarmte ihn dann. »Simon …«
»Nein«, wehrte der junge Mann verlegen ab. »Es ist nicht nötig, dass du es sagst. Ich habe nur getan, was du für mich getan hast.«
Alan ließ ihn los. »Woher wusstest du es?«
Simon nickte zu Haimon hinüber. »Etwas, das er gestern
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