Hiobs Brüder
Tunnel.«
»Was ?«
»Schsch. Nicht so laut.«
»Was redet Ihr da?« Es war ein heiseres Flüstern.
»Es wäre möglich.«
»Ihr seid ja nicht bei Trost, Mann.«
Simon lächelte flüchtig. »So wird mir gelegentlich versichert. Aber es ginge.«
»Ihr wollt dutzende Male durch die verdammte Röhre tauchen, um uns Vorräte zu bringen? Ihr werdet ersaufen.«
»Einmal reicht.« Einmal war schlimm genug, fand er. Bei dem Gedanken, diesen Schrecken aufs Neue erleben zu müssen, wurde es eng in seiner Kehle, aber das musste Beaumont ja nicht wissen. »Wir nehmen ein langes Seil und knoten die Enden zusammen, sodass wir eine Schlinge bekommen. Damit tauche ich durch die Röhre, und wir befestigen die Schlinge irgendwo im Keller auf einer provisorischen Achse. Draußen im Fluss warten meine Männer. Sie knoten einen Haken an ihr Ende der Schlinge, an den Haken … sagen wir, einen Sack Äpfel. Dann fangen sie an zu ziehen. Der Sack mit den Äpfeln verschwindet in der Röhre und kommt irgendwann bei uns an. Sie ziehen weiter, bis der leere Haken draußen wieder zum Vorschein kommt. Und so weiter.«
Etwas höchst Bemerkenswertes spielte sich auf Beaumonts Gesicht ab. Der Zorn und die mit eisernem Willen zurückgedrängte Verzweiflung wichen einem Ausdruck banger Hoffnung, den er um jeden Preis hinter Spott und Skepsis zu verbergen suchte.
»Stephens Halunken werden Eure Freunde schnappen.«
»So leicht nicht. Sie verstehen es, sich unsichtbar zu machen und lautlos zu sein.«
»Aber wir können nicht von Äpfeln leben. Wir brauchen Fleisch und Brot, wenn wir bei Kräften bleiben sollen. Die werden verderben, wenn sie durchs Wasser müssen.«
»Nicht, wenn wir sie in Ledersäcke einnähen.«
»Was redet Ihr da?«
»Der Eroberer hat einen Damm durch die Fens gebaut. Wusstet Ihr das?«
»Natürlich«, knurrte Beaumont.
»Und? Worauf schwamm der Damm?«
»Auf dem Wasser, schätze ich.«
Simon schüttelte den Kopf. »Es war Sumpf. Der trägt keinen Damm. Nein, sie haben Ledersäcke genäht und mit Luft gefüllt.« Alan hatte ihm das erzählt. »Und die haben lange genug gehalten, um eine Armee über den Sumpf zu führen. Wenn Ledersäcke dicht genug sind, um Luft zu halten, warum nicht Mehl? Oder Hülsenfrüchte?«
Beaumont senkte den Blick und dachte eine Weile nach. Dann fragte er: »Selbst wenn es möglich wäre. Wie lange soll es dauern, genügend Säcke mit Lebensmitteln hier hereinzuschaffen?«
»Was spielt das für eine Rolle? Wir machen es nachts von der Wachablösung an zwei Stunden lang. Und wir kommen jede Nacht wieder, bis Ihr hier genug Vorräte habt, um es über den Winter zu schaffen.«
»Mit jeder Nacht wird das Risiko für Euch steigen.«
Simon runzelte die Stirn. »Ich habe ja auch nicht gesagt, es werde ein Kinderspiel. Warum wollt Ihr nicht, dass ich es versuche?«
Beaumont stieß wütend die Luft aus. »Ich will keine Hoffnung schöpfen, die doch nur trügt. Denn das ist schlimmer, als gar nicht zu hoffen.«
Simon nickte. »Es ist gefährlich, und vieles kann schiefgehen. Also sagt niemandem etwas davon und versucht, nicht zu hoffen. Aber lasst es uns probieren. Es ist nicht so verrückt, wie Ihr vielleicht glaubt.«
»Woher wollt Ihr die Vorräte beschaffen, ohne Aufsehen zu erregen und Verdacht zu wecken?«
»Die Mönche in Abingdon werden mir helfen. Auch bei der Herstellung der Ledersäcke.«
»Für Gotteslohn?«, fragte Beaumont zweifelnd.
Simon lächelte. »Das täten sie vielleicht, denn sie haben immer aufseiten der Kaiserin gestanden. Aber wir sind nicht auf ihre Barmherzigkeit angewiesen. Der Herzogin von Aquitanien hat mich mit großzügigen Mitteln ausgestattet, ehe ich herkam. Denn sie möchte gern Königin von England werden.«
Genau wie alle anderen legte er sich schlafen, als es dunkel wurde, denn er wollte erst nach Mitternacht versuchen, sich ungesehen aus Wallingford zu stehlen. Völlig erledigt von der letzten, durchwachten Nacht und diesem albtraumhaften Tag schlummerte er schnell ein, doch wieder war ihm keine lange Nachtruhe vergönnt. Es kam ihm vor, als habe er nur wenige Augenblicke geschlafen, als eine Berührung am Arm ihn aufschreckte.
»Was …?«
»Schsch.« Es war ein tonloses Wispern, aber er erkannte die Stimme.
Eine Hand zog an seinem Ärmel, und der Schatten über ihm richtete sich auf. Simon schlug die Decke zurück, kam schlaftrunken auf die Füße und folgte dem Schatten zur hinteren Kammer.
»Vergebt mir«, bat Philippa of Wallingford und
Weitere Kostenlose Bücher