Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
ein eisiger Finger auf sein Herz. Dann spürte er etwas Feuchtes an seinem Hals, und ihm ging auf, dass es um Philippas Haltung ebenso bedenklich stand wie um seine. Vermutlich würde sie sich dieser Tränen morgen schämen, ahnte er, und wenn er sie nicht daran hinderte, zu sagen »Geh nicht«, dann würde sie ihn morgen dafür hassen. Er nahm ihre Hände in seine beiden und führte sie nacheinander an die Lippen. Dann ließ er sie los und stand auf.
    Ihre Augen strahlten verräterisch, aber ihre Miene gab nichts preis. »Leb wohl, Simon.«
    »Leb wohl, Philippa.« So sehr drängte es ihn, ihr zu sagen, er werde wiederkommen, dass er die Zähne zusammenbiss. Als könne er die Worte so daran hindern, ihm über die Lippen zu sprudeln. Wie sollte er es fertigbringen, zu gehen, ohne ihr einen Funken Hoffnung zu geben? Aber er hatte es Beaumont geschworen , und einen Geheimhaltungseid zu brechen war nicht nur wider seine Natur, es war vor allem gefährlich. Gott hasste Eidbrecher. Aber ohne Gottes Hilfe konnte sein Plan nicht gelingen. Was nützte es, wenn er Philippa Hoffnung gab und dann in dem schaurigen Tunnel ertrank, weil Gott zornig auf ihn war und ihm einen Anfall schickte?
    »Vertrau auf Henry«, beschwor er sie stattdessen. »Er wird euch Hilfe schicken, ehe es zu spät ist.«
    Sie nickte, aber er sah, dass sie es nicht glaubte. »Geh, Simon«, drängte sie. Es klang eigentümlich nachsichtig. »Nicht mehr lange bis zur Wachablösung.«
    Er legte die Hand an den Türriegel und musste feststellen, dass er es einfach nicht tun konnte. Er war außerstande, so zu gehen, sie in dem Glauben zurückzulassen, dass er sie verließ, weil er ein fallsüchtiger kleiner Feigling war, der nicht genug Mut besaß, um zu bleiben und ihr beizustehen. »Philippa, hör zu. Ich werde …«
    »Nein«, unterbrach sie scharf. »Ich will es nicht hören. Geh und tu, was immer du tun musst. Sei versichert, ich weiß, du würdest bleiben, wenn du könntest.«
    Simon fühlte sich beschenkt, aber nicht getröstet. »Meine angelsächsischen Freunde haben ein Sprichwort: Die Hoffnung wohnt oft hinter der Tür, an die zu klopfen einem nicht einfällt .«
    »Weise Menschen, die Angelsachsen.«
    »Das sind sie«, bestätigte er mit Nachdruck.
    Philippa lächelte und hob die Hand, als wolle sie ihn hinausscheuchen. »Mögest du auf deinem Weg Freunde finden, die Führung der Engel und das Geleit der Heiligen.«
    Die Nacht war heller, als ihm lieb war, aber der Mond stand schon weit im Westen, darum lag die Ostseite der Einfriedung im Schatten. Simon warf das Seil hinunter und spähte in die Tiefe. »Alles still«, murmelte er.
    Beaumont hatte das Seil an einen Balken der Brustwehr geknotet und sich über die Schultern gelegt. »Dann geh. Ich bin so weit.«
    Simon nickte. Es gab nichts mehr zu bereden. Sie würden sich wiedersehen, oder sie würden sich nicht wiedersehen. Das lag allein in Gottes Hand, und alle weiteren Worte waren überflüssig.
    Geschickt und lautlos erklomm Simon die brusthohen Stämme, packte das Seil mit der Linken, überwand die mörderischen Spitzen der Pfähle und begann sich abzuseilen, die Füße fest gegen die Einfriedung gestemmt. Dreißig, vielleicht vierzig Fuß ging es hinab, wusste er. Er blickte nicht nach unten, er schaute auch nicht zurück, sondern konzentrierte sich nur auf seine Hände und Füße. Hin und wieder hielt er inne und lauschte konzentriert in die Nacht hinaus. Er hörte den Fluss, die Brise in den Bäumen und die Grillen im Gras, aber nichts sonst. Aus den Augenwinkeln sah er die Lichtpunkte der Wachfeuer, die die Belagerer auch in dieser Nacht entzündet hatten, aber sie waren zu weit weg, als dass irgendwer dort ihn hätte hören oder sehen können. Außerdem schliefen vermutlich nicht wenige der Wachen so spät in der Nacht. Ein Jahr Belagerung ermüdete auch die Belagerer …
    Ohne Missgeschicke gelangte Simon hinunter und zog zweimal kurz am Seil, um Beaumont zu bedeuten, dass alles gut gegangen war. Der Ritter oben auf der Brustwehr erwiderte das Zeichen und begann dann, das Seil einzuziehen. Simon ließ es los und wandte sich zum Fluss, als er mit einem Mal eine Präsenz genau vor sich spürte. Er erstarrte und presste sich mit dem Rücken an die Stämme der Palisade.
    »Mach dir nicht ins Hemd, Mann. Wir sind’s.«
    Simon stieß langsam die Luft aus. »Godric …« Was zum Henker tut ihr hier ? und Habt ihr den Verstand verloren ? sparte er sich für später.
    Wulfric packte ihn am Arm,

Weitere Kostenlose Bücher