Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
dem Anfall. Seine Zunge hatte er dieses Mal so gründlich erwischt, dass sie selbst jetzt noch blutete. Er hatte eingenässt, aber nicht eingekotet. Dank sei Gott für seine kleinen Gnaden .
    Langsam setzte er sich auf, stützte die Ellbogen auf die Knie und die Stirn auf die Fäuste und wartete auf den nötigen Antrieb, um aufzustehen und aus dem Fenster zu schauen. Es dauerte lange, denn er wollte es nicht sehen. Aber er musste. Also hangelte er sich schließlich am Fensterrahmen in die Höhe, sandte ein Stoßgebet gen Himmel und blickte dann nach unten. Es dämmerte bereits, und es hatte zu regnen begonnen, aber noch war genug Licht, um Godric und Wulfric zu erkennen. Sie hingen schlaff wie Stoffpuppen in ihren Fesseln. Godric war bewusstlos. Wulfric tat nur so, schien es Simon, aber alle anderen hatte sein Freund offenbar hinters Licht geführt, denn weit und breit war niemand in ihrer Nähe. Anscheinend war den Männern langweilig geworden. Die halbnackten Leiber der Zwillinge waren übel zugerichtet, doch sie hatten schon schlimmer ausgesehen.
    Simon hatte sich gerade wieder auf den Boden gesetzt und massierte gedankenverloren seine malträtierte Schulter, als die Tür sich öffnete.
    »Simon …«
    Er sah auf und ließ die Hand sinken. »Richard.«
    Beinah zögernd trat sein Cousin in den Raum. Verstohlen musterte er Simon, sah ihm einen winzigen Moment in die Augen und gleich wieder weg. »Ich … Er will, dass ich dich in die Halle bringe. Der Prinz, meine ich.«
    »Wie untypisch zartfühlend, dass er meinen Cousin schickt und nicht Haimon de Ponthieu«, spottete Simon.
    Richard räusperte sich. »Haimon wollte kommen. Aber ich habe mich vorgemogelt.«
    »Hm. Und was passiert unten in der Halle? Soll ich den Rittern beim Essen die gleiche Kurzweil bieten wie meine Freunde unten im Hof den Soldaten?«
    »Ja.« Es klang tonlos.
    Simon ließ sich gegen die Wand zurücksinken und wandte den Blick zur Decke. »Richard, fang nicht an zu flennen, ja? Sei so gut.«
    Richard schniefte und schüttelte langsam den Kopf hin und her wie ein Ochse, der zu lange in der Sonne gestanden hat. »Wenn ich gewusst hätte, was er tut, hätte ich dich laufen lassen. Wenn ich geahnt hätte, dass Haimon eine alte Rechnung mit dir offen hat … Ich wollte das nicht, Simon, das musst du mir glauben. Du bist doch mein Cousin.«
    »Richtig. Die peinliche, fallsüchtige Missgeburt in der Familie, weißt du noch? Der Kerl, der sich mit anderen Missgeburten rumtreibt, denen man bedenkenlos die Finger abhacken kann.« Er stand auf. »Lass uns gehen. Ich bin lieber dort unten, als mir hier deine Trauermiene anzusehen.«
    Richard nickte, wandte sich unglücklich zur Tür und warf ihm etwas vor die Füße. »Ich warte draußen.«
    Erst als er wieder allein war, bückte Simon sich und hob auf, was sein Cousin ihm gebracht hatte. Es war ein Paar sauberer Beinlinge.
    Auf der engen Holztreppe machte Simon sich mit dem Gedanken vertraut, dass er heute Abend sterben würde. Er hatte seinem Zorn nachgegeben und seine Chance vertan, Eustache de Boulogne in ein Gespinst aus Worten zu wickeln, zu verwirren und auf dünnes Eis zu führen, bis diesem gar nichts anderes mehr übrig blieb, als sich Simon anzuvertrauen, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. In der Vergangenheit war das gelegentlich gelungen. Heute nicht. Es war eine bittere Niederlage, dass Eustache ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen und seinen wunden Punkt gefunden hatte, während Simon noch nach dem seinen tastete. Und weil das geschehen war, würde er sterben.
    Er fürchtete sich. Und der Gedanke quälte ihn, dass er Philippa nie wiedersehen würde, dass er zu feige gewesen war, ihr die Wahrheit zu sagen, und stattdessen zugelassen hatte, dass sie sich im Unfrieden trennten. Aber gleichzeitig empfand er eine eigentümliche Gelassenheit. Das, was für ihn das Schlimmste war, war bereits passiert: Er hatte im Angesicht seines Feindes einen Anfall erlitten und zuckend zu seinen Füßen gelegen. Für Simon war es die grauenvollste aller Demütigungen, und ganz gleich, was sie jetzt taten – schlimmer konnte es nicht werden. Die Erkenntnis gab ihm Trost und vor allem Mut.
    Die Halle war klein und schmucklos, und es gab weder Kamin noch Feuerstelle. Fackeln in schmiedeeisernen Ständern waren die Wände entlang aufgereiht, doch sie schienen mehr Qualm und Ruß als Licht zu verbreiten. Es gab nur eine lange Tafel, und sie hatte kein Tischtuch. Eustache und Haimon saßen auf

Weitere Kostenlose Bücher