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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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den Ehrenplätzen in der Mitte, und vielleicht zwanzig Ritter hatten sich versammelt. Der Eintopf, den sie aßen, verbreitete einen unangenehmen Geruch nach angebranntem Hammelfleisch. Als die beiden Wachen Simon hereinbrachten, dicht gefolgt von Richard de Clare, verstummten die gedämpften Tischgespräche, und die Männer sahen ihnen entgegen. Simon schaute in ein paar Gesichter, während er vor die Tafel geführt wurde. Die meisten erwiderten seinen Blick mit verhaltener Neugier, manche mit Häme, und er erkannte niemanden.
    Sechs Holzbalken stützten die Decke der Halle. Ein bärtiger Goliath stand wartend neben dem, welcher der Tafel am nächsten war, und hielt einen Strick in Händen. Zu seinen Füßen glomm eine Kohlenpfanne, in deren Mitte man einen Becher gestellt hatte. Simon konnte den Inhalt nicht erkennen, aber er hörte das unverwechselbare Blubbern von kochendem Blei.
    »Es ist eine schöne, alte französische Sitte, de Clare«, erklärte Eustache mit einem Lächeln. »Viel ausgeklügelter und nicht so geistlos wie die endlosen Verstümmelungen des normannischen Gesetzes. Von den alten Franken können wir noch etwas lernen, so scheint mir: Männern, deren gefährlichste Waffe ihre Zunge war, schütteten sie geschmolzenes Blei in den Schlund, damit die Zunge still hielt. Das hat mir irgendwie immer gefallen.«
    »Ich bin nicht verwundert«, hörte Simon sich sagen, und er fragte sich, wie er seine Stimme gefunden hatte, woher er die Luft zum Atmen nahm, denn das Grauen schnürte ihm die Kehle zu.
    Haimon hob ihm den Weinbecher entgegen. »Was passiert eigentlich, wenn einer von deinen unzertrennlichen Freunden krepiert?«, fragte er.
    »Dann stirbt der andere wenig später.«
    »Nun, in dem Fall werdet ihr heute wohl alle drei zur Hölle fahren. Der Linke von den beiden, der mit der großen Klappe …«
    »Godric. Sein Name ist Godric of Gilham.«
    »Er hat wohl eins zu viel auf den Schädel gekriegt. Er blutet aus den Ohren.«
    Simon sagte nichts. Es war also auch Godric und Wulfric bestimmt, an diesem Tag ihrem schlimmsten Albtraum zu begegnen: Der eine sah seinen Bruder sterben, der andere wusste, dass er seinen Zwilling mit in den Tod nahm.
    Eustache de Boulogne hatte die Hände im Nacken verschränkt und sich bequem in seinem Sessel zurückgelehnt. »Ich kann mir vorstellen, ihnen wär’s lieber, sie könnten gleichzeitig abtreten, he.« Er sah Simon in die Augen. »Das ließe sich einrichten. Ihr müsst nur eine Kleinigkeit dafür tun.«
    »Was?«, fragte Simon schroff.
    »Ihr müsst runter auf die Knie gehen, hier herüberrutschen, mir die Füße küssen und mich artig bitten. Mit Euren letzten Worten, sozusagen.« Er gluckste. »Dann schicke ich zwei Männer runter, die die armen Missgeburten draußen im Hof von ihrem Elend erlösen, Ihr habt mein Wort.«
    Simon zögerte nicht.
    Leises Raunen und Hohngelächter erhob sich an der Tafel, als er im Stroh auf die Knie sank. Was ist das nur?, fragte er sich. Was befriedigt die Menschen so daran, einen anderen erniedrigt zu sehen?
    Er verharrte einen Moment mit gesenktem Kopf, die gefesselten Hände zwischen den Knien. Dann machte er sich auf den Weg. Die Strecke um die Tafel herum bis zu Eustache maß vielleicht zwanzig Schritte. Aber es dauerte erstaunlich lang, sie auf den Knien zurückzulegen. Simon beeilte sich auch nicht. Geradezu bedächtig schob er erst das eine Knie vor, dann das andere, spürte hier einen Tritt, dort einen Löffel Eintopf landen und hielt den Blick starr auf seine gefesselten, ineinander verschränkten Hände gerichtet.
    Haimon und Eustache waren mit ihren Sesseln zurückgerutscht, um ihm Platz zu machen, und genau zwischen ihnen hielt Simon an.
    »Also? Worauf wartet Ihr?«, fragte Eustache. Es klang vergnügt, fast nachsichtig.
    Simon schärfte sich ein, sich nicht noch einmal durch seinen Hass auf diesen Mann von seinem einmal eingeschlagenen Weg abbringen zu lassen. Er atmete tief, um sich zu sammeln, seine schmerzenden Glieder zu zwingen, ihm zu gehorchen, dann schnellte er hoch und stürzte sich auf Haimon. »Such uns schon mal ein warmes Plätzchen.«
    Haimon stieß ein kurzes Schnaufen aus; es klang wie ein Laut der Verblüffung. Dann sank er zurück. Sein Blick starrte an Simons linker Schulter vorbei ins Leere.
    Eustache hatte tatsächlich die Reflexe eines Soldaten. Er sprang auf und riss Simon am Arm zurück, sodass alle an der Tafel Versammelten den kurzen Elfenbeingriff sahen, der aus Haimons linker Brust

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