Hiobs Brüder
ebenso.«
Simon nickte, obwohl er keineswegs überzeugt war, dass das stimmte. »Henry Plantagenet ist der mächtigste Mann in Frankreich. Der Papst hat nichts zu gewinnen, wenn er ihn gegen sich aufbringt.«
»Nun, ich schätze, es dauert nicht lange, bis Plantagenet seinerseits den Papst gegen sich aufbringt. Er brüstet sich ja gern damit, er habe Dämonenblut in den Adern.«
»Rechnet lieber nicht darauf, Monseigneur«, riet Simon.
»Aber was ist …« Eustache brach unvermittelt ab, musterte ihn von Kopf bis Fuß und verschränkte dann mit einem leisen Lachen die muskulösen Arme vor der Brust. »Jetzt fällt mir ein, was ich über Euch gehört habe. Ihr seid der, den sie an Plantagenets Hof Merlin nennen. Der Kerl, der alle Geheimnisse kennt und verschlossene Briefe lesen kann. Ich bin tief beeindruckt, Monseigneur.« Er verneigte sich höhnisch. »Aber denkt lieber nicht, Ihr könntet mich mit irgendeiner schlauen List dazu bewegen, zu tun, was Ihr wollt. Macht nicht den Fehler zu glauben, ich sei ein Einfaltspinsel wie mein Vater.«
»Ich verstehe nie so recht, warum so viele Euren Vater für einfältig halten. Das ist er nicht. Nur ein bisschen zu nachgiebig und zu gutmütig für einen König.«
»Was man von mir wirklich nicht behaupten kann.«
»Nein«, räumte Simon ein. Er blickte aus dem Fenster. Unten im Hof stand ein Gerüst, das als Galgen für Deserteure ebenso diente wie als Schandpfahl, wo ungehorsame Soldaten ausgepeitscht wurden oder – je nach Schwere des Vergehens – eine Hand oder ein Ohr verloren. Das Gerüst war breit genug für zwei, erkannte Simon mit sinkendem Herzen, als die Wachen Godric und Wulfric dort mit über dem Kopf gestreckten Armen an den Querbalken fesselten. Haimon gab genaue Anweisungen. Wie bei solchen Gelegenheiten üblich, strömten in Windeseile dienstfreie Soldaten und sonstiges arbeitsscheues Gesindel zusammen und bildeten eine Traube um den Pranger. Haimon sagte irgendetwas, das Simon nicht verstand. Die Versammelten lachten. Es klang abscheulich. Godric und Wulfric tauschten einen kurzen Blick und schauten dann wieder nach vorn, die Mienen so ausdruckslos wie tönerne Totenmasken.
Eustache de Boulogne trat neben Simon und blickte genau wie er nach unten. »Die Männer sind zornig und gelangweilt nach einem Jahr erfolgloser Belagerung. Da kommt so etwas gerade recht. Ich möchte nicht mit den beiden Missgeburten da unten tauschen …«
Haimon hatte sich eine Peitsche bringen lassen, und zwei betrunkene Soldaten rissen Godric und Wulfric die Kittel vom Leib, zeigten johlend mit den Fingern auf die Stelle, wo sie zusammengewachsen waren, und konnten sich vor Lachen kaum auf den Beinen halten.
Simon schloss die Augen. Und mit einem Mal überkam ihn ein solcher Hass auf Haimon und Eustache und alle Gesunden auf der Welt, dass er jedwede Vernunft in den Wind schlug. Er wandte den Kopf und sah Eustache de Boulogne in die Augen. »Wusstet Ihr, dass Eure schöne Constance für Raymond de Toulouse die Röcke rafft, während sie Euch die händeringende Betschwester vorspielt, mein Prinz? Warum auch nicht, wird sie sich gedacht haben. Sie riskiert nichts, denn sie ist ja unfruchtbar. Das ist übrigens kein Geheimnis. Das weiß die ganze Welt außer Euch.«
Ironischerweise war es die Fallsucht, die Simons Augenlicht rettete.
Eustache hatte auf ihn eingedroschen und -getreten, bis die Wachen ihn zaghaft fragten, ob es wirklich in seinem Sinne sei, den Gefangenen zu töten. Da war der Kronprinz wieder halbwegs zu Verstand gekommen, aber er war noch lange nicht fertig mit dem Mann, der es gewagt hatte, ihm die unschöne Wahrheit über seine Gemahlin zu eröffnen. Er ließ sich eine Fackel bringen, um ihn zu blenden und sein Gesicht zu entstellen, doch das gleißende Licht hatte einen Anfall ausgelöst, ehe die Flamme anderweitigen Schaden anrichten konnte. Die Wachen, die Simon an Armen und Schopf gepackt hatten, um ihn stillzuhalten, wichen entsetzt zurück, als er zu krampfen begann, und selbst Eustache verlor die Lust an seinem Vorhaben, als er die verdrehten Augen und den Schaum vor dem Mund seines Opfers sah. Jedenfalls nahm Simon das an, denn als er eine ungewisse Zeit später aufwachte, konnte er noch sehen und hatte keine Brandwunden im Gesicht. Und er war allein.
Blinzelnd lag er auf dem nackten Holzfußboden und machte wie üblich eine Bestandsaufnahme. Alle Knochen taten ihm weh, was vermutlich mehr mit Eustaches Fäusten und Stiefeln zu tun hatte als mit
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