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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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zog mit einigem Widerwillen die fadenscheinigen, aber immerhin sauberen Beinkleider an und wartete, dass die Wärme der Flammen seine Haut trocknete. Hinter dem Feuer hatte jemand eine Leine gespannt, auf der seine anscheinend frisch gewaschenen Kleider hingen: ein langärmeliges Unterhemd und Beinlinge aus Leinen, seine oberschenkellangen Strümpfe aus dunkelgrüner Wolle und der einstmals so feine, aber inzwischen etwas schäbige Bliaut gleicher Farbe. Der Anblick brachte ihm unweigerlich seinen Onkel in Erinnerung, denn der hatte ihm das Gewand geschenkt, ehe er Simon nach York geschickt hatte. Hier, mein Junge. Damit die verrückte Welt dort draußen sieht, dass sie es mit einem Edelmann zu tun hat. Reite mit Gott, und kehr gesund zu uns zurück . Damals hatten die Worte Simon gerührt, und der edle, wadenlange Bliaut mit dem goldbestickten Halsausschnitt hatte ihn mit Stolz und Selbstbewusstsein erfüllt, denn er sah weiß Gott wie ein de Clare darin aus. Heute verstand Simon den Sinn, der sich in den scheinbar frommen Wünschen des Onkels verborgen hatte: Kehr gesund zurück oder gar nicht.
    Er stand von dem Schemel auf, rieb sich fröstelnd über die Arme und zog entschlossen Roberts Bauernkittel über. Der Verrat seines Onkels kränkte ihn immer noch, aber heute verspürte Simon eher Zorn als Kummer. Losian hatte ja so recht: Wer man war, hing nicht zuletzt davon ab, wie man sich selbst sah. Seit Simon mit sieben Jahren die Fallsucht bekommen hatte, hatte die Welt ihn wie ein zartes Pflänzchen behandelt, allen voran sein Vater. Doch das vergangene Vierteljahr hatte Simon gelehrt, dass er zäher war, als er sich je hätte träumen lassen. Er hatte den Exorzismus überlebt, die Insel, die Sturmflut und die Flucht übers Meer. Er würde auf seine Güter zurückkehren, und wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, würde er sich Genugtuung verschaffen. Er war frei, und es erfüllte ihn mit Befriedigung, dass er wieder Pläne machen konnte.
    Es war dunkel geworden, und der typische kalte Wind dieser Gegend fegte über die Dorfwiese, als er zur Kirche hinüberging.
    Drinnen hingegen war es anheimelnd warm. In einem Steinring hatten die Dörfler auf dem festgestampften Lehmboden ein Feuer entzündet, über welchem die Frau des Pfarrers einen Spieß mit Fischen drehte. Um das Feuer herum saßen die Bauern auf ihren dünnen Mänteln auf der Erde, Becher in Händen, und lauschten King Edmund, der mit dem Rücken zu den Flammen stand und eine Geschichte erzählte. Sie schienen so gebannt, dass niemand Simons Ankunft bemerkte bis auf seine Reisegefährten, die zusammen ein wenig abseits saßen. Auch die Zwillinge, stellte Simon beklommen fest. Welch eine missglückte Heimkehr: der Vater tot, die Nachbarn und Verwandten feindselig. Wie niederschmetternd das sein musste.
    Doch als sie ihn zaudernd an der Tür stehen sahen, winkte Wulfric ihn herüber, und sein Grinsen schien so unbekümmert wie eh und je.
    Simon schloss sich ihnen an, setzte sich neben Luke auf die Erde, quittierte den Becher Bier, den Wulfric ihm reichte, mit einem dankbaren Nicken, und hörte zu.
    »… der Herr Jesus Christus vom Tag meiner Krönung an mein ständiger Begleiter und Beschützer war, und weil ich wusste, dass ich nicht lange zu leben hatte, verbrachte ich das zweite Jahr meiner Herrschaft in meiner königlichen Festung in Hunstanton, die ich – kaum sechzehn Jahre alt – ein Jahr und einen Tag lang nicht verließ. Dort studierte ich das Wort des Herrn, um Trost und Wahrheit zu finden, sodass ich schließlich kein Buch mehr brauchte, sondern die Heilige Schrift in meinem Herzen trug.«
    Die Bauern seufzten ergriffen.
    King Edmund senkte einen Moment den Kopf, als sei er gänzlich in seinen Erinnerungen versunken. Dann fuhr er kopfschüttelnd fort: »Doch ich wusste, es waren kriegerische Zeiten, und Alfred von Wessex konnte die Dänen nicht allein besiegen. Zwei grausame dänische Fürsten kamen mit ihren Horden nach East Anglia, ihre Namen waren Hinguar und Hubba.«
    »Das sind selbst für Dänen merkwürdige Namen«, murmelte Simon skeptisch vor sich hin.
    »Schsch«, zischte Godric. »Hör zu. Gleich wirst du staunen, verlass dich drauf.«
    Simon warf ihm einen spöttischen Blick zu, schwieg aber und lauschte.
    »Es waren der Dänen zu viele, meine armen Truppen konnten nicht standhalten«, fuhr King Edmund betrübt fort. »Um zu verhindern, dass sie alle abgeschlachtet wurden, schickte ich sie fort, zurück auf ihre Felder zu ihren

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