Hiobs Brüder
warf Godric ein.
»Glaubst du das?«, fragte Simon neugierig.
Godric hob kurz die Schultern. »Nein. Aber ich kann so wenig erklären wie du, wie er überleben konnte, was immer mit ihm passiert sein mag.«
»Wie kommt es, dass ihr alle das wusstet, ich aber nicht?«, fragte Simon weiter. Es klang fast entrüstet, und er stellte fest, dass er sich ausgeschlossen fühlte. Das befremdete ihn nicht wenig.
»Jedes Jahr am 20. November oder dem Tag, den er dafür hielt, hat King Edmund uns diese Geschichte erzählt«, erklärte Losian. »Das ist das Namensfest des heiligen Edmund.«
»Ja, vielen Dank, das weiß ich selbst«, gab Simon unwirsch zurück. »Ich bin in England geboren, und in meiner Familie achtet man die Namensfeste der englischen Heiligen.«
»Entschuldige.« Losians Blick wanderte zum Altar hinüber. Während die Frauen die Fische vom Spieß nahmen, zerlegten und auf Holzteller verteilten, umringten die Männer von Gilham King Edmund und bestaunten ihn. Und als sie feststellten, dass er ein umgänglicher Heiliger war, verloren sie ihre Scheu nach und nach und stellten ihm Fragen.
»Das heißt … das heißt, du bist wiederauferstanden?«, fragte Vater Edgar.
King Edmund hob einen mahnenden Zeigefinger. »Ich wurde zurückgeschickt. Für eine kleine Weile, um dem englischen Volk während der schweren Prüfung dieses gottlosen Krieges beizustehen.«
»Und wie war’s im Paradies?«, fragte ein schlaksiges junges Mädchen mit blonden Zöpfen atemlos.
»Das weiß ich leider nicht mehr, mein Kind«, gab King Edmund lächelnd zurück. »Diese Erinnerung wurde mir weggenommen, damit ich hier unten nichts ausplaudere, schätze ich.«
Es gab verhaltenes, ehrfürchtiges Gelächter.
»Ich bin nicht sicher, ob mir das gefällt«, raunte Losian. »Hoffentlich stellen sie ihm keine Fragen, auf die er keine Antwort weiß oder die ihn wütend machen.«
»Ach, was regst du dich auf«, gab Wulfric zurück. »Er hat uns vorhin wirklich aus der Klemme geholfen, und die Frage, auf die unser King Edmund keine Antwort weiß, muss noch erfunden werden.«
Das schien in der Tat der Fall zu sein. Die Bauern von Gilham stellten Fragen über East Anglia und die Kriege gegen die Dänen. Edmund antwortete geduldig und schilderte die Taten des Märtyrerkönigs so lebhaft, als habe er sie wirklich alle selbst vollbracht. Und in seiner Vorstellung hat er das natürlich, ging Simon auf. Ungezählte Male.
»Der heilige Edmund war erst dreißig, als er starb«, sagte er halblaut vor sich hin. »Ich hoffe, keiner fragt ihn, wieso er heute älter ist.«
»Ich hab ihn einmal gefragt«, antwortete Losian. »Er sagt, er sei als dreißigjähriger Mann in die Welt zurückgekehrt, und seither altere er.«
Simon nickte versonnen. »Wir haben seit acht Jahren Krieg. Könnte hinkommen, oder?«
Losian zog amüsiert die Brauen in die Höhe. »Simon, liegt es im Bereich des Möglichen, dass du anfängst, seinen Unsinn zu glauben?«
»Was?« Mit einem Mal war Simon hoffnungslos verwirrt, und er spürte, wie seine Wangen heiß wurden. »Nein. Natürlich nicht.«
Gunda, die junge Frau, die jetzt in Wulfrics und Godrics Haus lebte und der Losians Blicke auf Schritt und Tritt folgten, brachte King Edmund einen gut gefüllten Teller mit Fisch und Brot. »Hier, King Edmund, iss und stärke dich.«
»Hab Dank, Tochter.«
»Und wenn du aufgegessen hast, würdest du …« Sie geriet ins Stocken und senkte den Blick, aber dann nahm sie sich zusammen und fuhr fort: »Würdest du meinem Leofgar die Hand auflegen? Er ist schon drei und kann immer noch nicht laufen.«
»Da haben wir’s«, knurrte Losian. »Jetzt wollen sie ein Wunder, und wenn keins geschieht, werden sie wieder nach Blut schreien.«
»Natürlich werde ich deinem Sohn meinen Segen spenden, aber du darfst nicht zu viel erhoffen«, warnte Edmund. »Schau dir meine armen Gefährten an. Bislang konnte ich für keinen von ihnen etwas tun.«
»Aber du hast dem jungen normannischen Lord seinen Dämon ausgetrieben«, widersprach Gunda.
King Edmund hob einen mahnenden Zeigefinger. »Nicht ich habe die Macht zu heilen, sondern Gott allein. Es ist sein Wille, der geschieht, und nicht der meine.«
Gunda war sichtlich enttäuscht, aber sie nickte. Die Erklärung leuchtete ihr offenbar ein.
Sie aßen in gelöster, beinah fröhlicher Atmosphäre, und die Dörfler hingen an Edmunds Lippen, wann immer der eine überlieferte oder erfundene Episode aus dem Leben des Märtyrerkönigs erzählte.
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