Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
ihrem kleinen Sohn in der Hütte lebte, die eigentlich Wulfric und Godric hätte gehören sollen. Er wusste es deshalb, weil er ihr nachspioniert hatte. Wieso hatte er das getan? Scheinbar zufällig an der Kirchentür gestanden und gesehen, wie sie mit dem Kind auf dem Arm ihre Hütte betrat, ihr Verlobter aber eine Tür weiterging? Weil er plante, es zu tun?
    Und was machst du, wenn sie schreit?
    Ich halte ihr den Mund zu.
    Und wenn Robert es trotzdem hört und ihr zu Hilfe eilt?
    Dann werde ich ihn wohl töten müssen. Das dürfte mir nicht schwerfallen, denn ich habe ein hervorragendes Messer. Außerdem ist er nur ein Bauer, und ich bin ein …
    Was? Ein hartgesottener Krieger? Ein Kreuzfahrer, der auszog, zur Ehre Gottes zu kämpfen, die heiligsten Stätten der Christenheit gegen die Ungläubigen zu verteidigen und dadurch vielleicht, vielleicht Gnade zu finden, stattdessen jedoch die Frauen und Töchter der Heiden geschändet hat, so lange, bis es eine liebe Gewohnheit war, eine Selbstverständlichkeit? Weil es egal war, schließlich waren es nur Heiden? Oder weil alle es taten? Sollte es möglich sein, dass die Vorstellung ihm Übelkeit bereitete, er aber trotzdem so ein Mann war?
    Er stöhnte, warf sich auf die Seite und zog sich die Decke über den Kopf. Womöglich wäre es besser, Luke die Kehle durchzuschneiden statt Robert, dann könnte er vielleicht Schlaf finden und so der Versuchung widerstehen, Gunda einen nächtlichen Besuch abzustatten.
    Er hatte noch mehr Dinge an sich beobachtet, die ihn bestürzten. Wann immer sie auf ihrer Wanderung durch den Wald ein Geräusch gehört hatten, das Luke und King Edmund zusammenschrecken ließ, weil sie Angst vor Gesetzlosen hatten, war Losians Hand mit einer Schnelligkeit an das Heft seines Dolches gefahren, die er selbst kaum fassen konnte. Die Klinge in der Faust, hatte er sich umgeschaut, und er hörte das Blut in seinen Adern singen, sein Blick schien ihm eigentümlich geschärft. Es war immer nur falscher Alarm gewesen, und jedes Mal war er enttäuscht. Als sei er um etwas betrogen worden, auf das er ein Anrecht hatte. Gewiss, er war der einzige Bewaffnete ihrer kleinen Gemeinschaft und der Einzige mit Kampferfahrung, also war es seine Pflicht, auf der Hut zu sein und die anderen zu beschützen. Aber er wusste ganz genau, dass das nicht alles war.
    Er setzte sich auf, vergrub einen Moment den Kopf in den Händen, dann stand er auf und trat Luke unsanft in die Seite.
    Der alte Mann protestierte mit einem Grunzen, verstummte einen Moment und schnarchte dann unverdrossen weiter.
    Losian hob die Hände gen Himmel, wandte sich ab und verließ die Kirche. Der Brunnen – und damit Regy – befand sich auf der Ostseite, er brauchte also nicht zu befürchten, gesehen oder gehört zu werden. Trotzdem schloss er die Tür so geräuschlos wie möglich, verharrte einen Moment und schaute sich um. Der Himmel war klar, und es war Vollmond – noch über ein Monat bis Ostern also. Hier draußen war es heller als in der Kirche. Er setzte sich wieder in Bewegung. Das Gras unter seinen Füßen war feucht und kalt, aber nicht unangenehm. Losian schlenderte über den Dorfplatz, betrachtete den kleinen Tümpel, der am Nachmittag Simons Anfall ausgelöst hatte und jetzt still und silbrig im Mondlicht lag, und erkannte, dass es zum ersten Mal seit ihrer Flucht von der Insel vollkommen windstill war. Die Ruhe verzauberte die Nacht. Er legte den Kopf in den Nacken und blickte zum prallen, gelben Mond empor, der noch im Osten stand, als er mit einem Mal ein Schnaufen vernahm.
    Er sah sich um. Vor Gundas Hütte stand ein vierbeiniger, zotteliger Schatten, der reglos zu ihm herüberzustarren schien. Furcht durchzuckte Losian. Verrückte Dinge schossen ihm durch den Kopf: War es die Vision eines Höllenhundes, die ihn vor der Freveltat warnte, mit der er liebäugelte? Oder ein Werwolf? Immerhin war Vollmond …
    Doch als der starre Schatten sich in Bewegung setzte, verwarf er diese Gedanken mit einem zittrigen, verschämten kleinen Lachen. Es war nur ein gewöhnlicher Hütehund, der zögernd auf ihn zukam. Noch fünf Schritte entfernt, blieb er stehen und nahm Witterung auf.
    Losian streckte ihm die Hand entgegen. »Komm her, mein Junge. Hab keine Angst. Leiste mir Gesellschaft und rette meine Seele …«
    Doch der Hund hatte anderes im Sinn. Er hob den Kopf, bellte zweimal kurz und preschte an Losian vorbei zur Kirche. An der Tür sprang er hoch, kratzte und bellte und machte ein solches

Weitere Kostenlose Bücher