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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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zwischen den Bäumen zum Vorschein kommen. Aber er nahm sich zusammen. Er trat zu Oswald und versetzte ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Oberschenkel. »Es muss sein. Komm schon, tu’s für mich.«
    Oswalds Enttäuschung war herzerweichend, aber er folgte.
    Losian führte die Pferde auf die andere Seite des Baches und scheuchte sie zwischen die Bäume, um eine falsche Spur zu legen. Dann watete er in die Mitte des flachen Wasserlaufs und winkte den anderen, es ihm nachzutun. »Das macht es schwieriger, uns zu folgen«, erklärte er.
    Doch ebenso erschwerte es ihr Fortkommen. Oswald fing an zu heulen, weil ihm im eiskalten Wasser die Füße so weh taten, und Luke wimmerte, weil er meinte, die Schlange habe sich gerührt.
    Jesus, was kommt als Nächstes?, dachte Losian, aber er biss die Zähne zusammen und sagte nichts. Er ließ die anderen vorausgehen, blieb allenthalben stehen und lauschte. Aber immer noch hörte er keine Verfolger.
    Das Bachbett wurde steiniger, als sie die letzten Bäume hinter sich ließen und das Land in hügelige Heide überging. Das gefiel Losian ganz und gar nicht, denn hier waren sie so auffällig wie ein Rabe auf einem verschneiten Scheunendach.
    Doch es war nicht mehr weit. Der Bach ergoss sich in einem Wasserfall über einen unvermuteten Steilhang, vielleicht zwölf Fuß tief, und hinter dem Vorhang aus herabstürzendem Wasser und dem feinen Nebel, den es aufwirbelte, lag eine Höhle.
    »Hier ist es«, sagte Simon über die Schulter.
    Losian schloss zu ihm auf, begutachtete ihr Versteck und nickte zufrieden. »Gute Wahl. Rein mit euch. Wir müssen uns verbergen. Ich schlage vor, bis Mitternacht.«
    »Losian«, jammerte Luke. »Sie sagt, wenn sie nicht bald etwas zu fressen bekommt, hält sie sich an meinen Innereien schadlos …« Sein Gesicht verzerrte sich zu der so eigentümlich kindlichen Maske der Furcht.
    »Ich weiß. Wir haben alle Hunger, Luke.« Er nahm die Schnur ab, an der er Regys Schlüssel um den Hals trug, und gab sie Wulfric. »Hier. Ihr müsst ihn noch ein Weilchen länger hüten. Ich sehe mich ein bisschen um und versuche, etwas zu essen zu finden.«
    »Aber …«, begann Godric.
    Losian schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. »Sie werden mich nicht erwischen, sei unbesorgt. Verhaltet euch so ruhig wie möglich. Das gilt auch für Grendel.«
    Ohne weitere Einwände abzuwarten, durchmaß er mit einem Sprung den nassen Vorhang, der wie aufgeschnürte Perlen funkelte, und watete ans Ufer.
    Er hatte nicht wirklich vor, die Umgebung zu erkunden oder Proviant zu beschaffen, und er wusste, es war unklug, das Versteck zu verlassen, ehe es dunkel wurde. Aber er musste allein sein. Seit er und Simon wieder zu ihren Gefährten gestoßen waren, spürte er es kommen, dieses unerklärliche lähmende Entsetzen, das ständig auf ihn lauerte. Er hatte es mit größter Mühe auf eine Armeslänge Abstand gehalten, bis sie in Sicherheit waren, aber er wusste, dass er seinen Widerstand nicht viel länger würde aufrechterhalten können. Und ihm graute vor der Enge in der Höhle hinter dem Wasserfall.
    Seine Hände waren feucht, und er verspürte eine fahle Übelkeit. Obwohl es kalt war, begann er zu schwitzen. Sein Herz raste und stolperte. Schwindel rollte über ihn hinweg. Er tastete blind nach einem Baumstamm, um Halt zu finden, doch vergebens. Seine Knie knickten ein, er fiel auf die kalte, feuchte Erde und fing an zu würgen. Nichts kam hoch, denn er hatte zuletzt vor zwei Tagen etwas gegessen, aber die Übelkeit blieb. Und die Angst, die ihn in Finsternis stürzen wollte, in den Schlund eines Ungeheuers. Etwas wie ein schwarzer Schleier trübte seine Sicht, doch die Bilder vor seinem geistigen Auge waren umso deutlicher: der Troll, dem er mit dem Schwert fast den Kopf vom Rumpf getrennt hatte. De Laigle, der an seinem eigenen Kehlkopf erstickte. Er hatte zwei Menschen getötet, und er konnte nicht fassen, mit welcher Leichtigkeit er das getan hatte. Es hatte ihn nicht mehr Überwindung gekostet, als einen Apfel vom Baum zu pflücken. Und er hörte Schreie in seinem Kopf, nicht de Laigle, nicht den Troll, sondern die Schreie eines Kindes, und er wusste, obwohl er nicht denken konnte, dass dies eine Erinnerung war. Seine einzige echte Erinnerung war die an den qualvollen Tod eines Kindes, und er rollte sich mit dem Gesicht ins feuchte Laub und presste die Unterarme auf die Ohren, aber die Geisterstimme ließ sich nicht aussperren.
    Es ging vorbei, so wie es immer irgendwann

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