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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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vorbeiging, auch wenn er jedes verdammte Mal wieder Zweifel hatte. Der schwarze Schleier vor seinen Augen lichtete sich, das Zittern seiner Glieder ließ nach, sein Herzschlag beruhigte sich allmählich – das Grauen ließ von ihm ab und verzog sich in die Schattenwelt, aus der es gekommen war. Fürs Erste.
    Losian setzte sich auf und sah sich verwirrt um, weil er sich für einen Augenblick nicht sicher war, wo er sich befand. Schließlich stand er auf und ging zurück zum Bachufer. Dort kniete er sich ins Gras, wusch sich Gesicht und Hände und trank ein paar Schlucke. Das Wasser erfrischte ihn. Er war zumindest in der Lage, in Erwägung zu ziehen, zu den anderen zurückzukehren und seine Bürde wieder zu schultern.
    Doch er trieb sich bis zum Einbruch der Dämmerung im Wald herum. Einmal hörte er zwei Reiter in der Nähe. Für ihn allein war es indessen nicht schwierig, sich rechtzeitig im Unterholz zu verbergen, zumal sie sich nicht einmal Mühe gaben, leise zu sein. Keine zehn Schritte entfernt sah er sie vorbeireiten, hörte sie beratschlagen, ob sie lieber in östlicher oder nördlicher Richtung weitersuchen sollten, dann waren sie verschwunden, und Losian hatte den Wald wieder für sich.
    Die Stille tat ihm wohl. Auf einer Lichtung zog er Guy de Laigles Schwert, das eine Klasse besser war als das des Trolls. Er schloss die Finger um das Heft, einen nach dem anderen, und erkundete mit geschlossenen Augen, was sie ertasteten. Seine Finger sagten ihm, sie seien nach Hause gekommen. Der kalte Stahl fühlte sich vertraut und richtig an. Mit einem kleinen Lächeln zog Losian die Klinge aus der Scheide und ergötzte sich an dem metallischen Flüstern, das sie erzeugte. Dann hob er die Waffe, sah an der Klinge entlang, um Beschaffenheit und Schliff zu prüfen, und schließlich machte er ein paar Standardübungen. Die Schritte und Abläufe kamen wie von selbst, und er fand Gefallen an der Präzision seiner Bewegungen. Die Konzentration verlieh ihm eine innere Ruhe, die er nicht kannte, beinah eine Art Ausgeglichenheit. Womöglich lag es nur daran, dass er abgelenkt und dem ewigen Teufelskreis seiner Gedanken für den Moment entronnen war. Jedenfalls hob sich seine Stimmung, und die Schrecken der Ereignisse des Vormittags verblassten. Doch mit einem Mal genierte er sich für die alberne Schattenfechterei, und noch während er sich fragte, wieso, wurde ihm klar, dass er beobachtet wurde.
    Er schärfte sich ein, sich nicht zu verkrampfen, weiterzumachen, sich nichts anmerken zu lassen. Er vollführte eine langsame halbe Drehung mit dem Gewicht auf dem linken Fuß, hob die Klinge am langen Arm wieder auf Kinnhöhe und spähte aus dem Augenwinkel zu beiden Seiten. Dann machte er einen langen Ausfallschritt, als wolle er einen Stoß über einen verschränkten Schild hinweg üben, sprang aber unvermittelt nach rechts, zerrte seinen Zuschauer mit der Linken hinter dem dicken Baumstamm hervor und setzte ihm die Klinge an die Kehle. »Irgendwie habe ich geahnt, dass wir uns wiedersehen, Edivia.«
    Sie stieß ein Keuchen aus, aber sie schrie nicht.
    »Und? Wie viele deiner neuen Freunde hast du mitgebracht?«, fragte Losian.
    »Sie sind nicht meine Freunde«, gab Edivia zurück. »Und ich bin allein.«
    Losian war zuversichtlich, dass das die Wahrheit war. Edivia trug einen abgedeckten Korb in der Hand. Vermutlich ahnte sie, wo Simon Zuflucht gesucht hatte, und hatte sich davongeschlichen, um ihm etwas zu essen zu bringen.
    Er ließ sie los. »Dann lass uns hoffen, dass dir niemand gefolgt ist.«
    »Bestimmt nicht. Sie sind alle ausgeschwärmt, um euch zu suchen. Darum ist es auch nicht besonders klug, dass Ihr Euch hier herumtreibt, Mylord.«
    »Ich bin niemandes Lord«, stellte Losian klar. »Und im Übrigen ist mein Name auch nicht Reginald de Warenne. Was hast du da?« Er zeigte auf den Korb.
    »Nur Brot. Ich dachte, damit ist euch am besten gedient.«
    »Gib mir ein Stück.«
    Sie hob das Tuch an, und Losian stieg der verführerische Duft von frischem Roggenbrot in die Nase. Er konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, ihr einen Laib zu entreißen und mitsamt seiner Beute Reißaus zu nehmen. So viel Speichel sammelte sich plötzlich in seinem Mund, dass er immerzu schlucken musste.
    Edivia brach ein großzügiges Stück ab und reichte es ihm wortlos. Losian drehte ihr den Rücken zu und verschlang es mit wenigen großen Bissen. Erst als das bohrende Hungergefühl sich legte, gestand er sich ein, wie sehr es ihm zu schaffen

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