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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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gewesen zu sein, aber das musste er wohl, denn er empfand weder den Schrecken, der sich beinah komisch auf den Gesichtern der Zwillinge abzeichnete, noch die moralische Entrüstung, die King Edmunds Miene ausdrückte.
    Dicht an dicht standen hölzerne Wohnhäuser und Kirchen entlang der schlammigen Straße, die vom Stadttor zum Fluss führte. Wohin man blickte, sah man Menschen, und alle schienen eilig und geschäftig. Die Laufburschen der vielen Tuchmacher lieferten mit Handkarren ihre Waren aus. Zwei prachtvoll gekleidete Bürger kamen hoch zu Ross daher, die elegant behüteten Köpfe zusammengesteckt und offenbar in ein wichtiges Gespräch vertieft. Eine ärmliche Schar betrat eine ebenso ärmliche kleine Kirche zur Vesper.
    Es war nicht einmal der Gestank von so vielen Menschen und ihrem Vieh, den Losian überwältigend fand, sondern vielmehr der Lärm, den sie verursachten. Rumpelnde Karrenräder, das Läuten einer Glocke, das gewiss von der Klosterkirche kam, Hufschlag, Quieken von Schweinen, Meckern von Ziegen und Gackern von Hühnern und lauter als alles andere das Gewirr menschlicher Stimmen, das von den Straßen selbst aufzusteigen und aus jedem Haus zu kommen schien. Hin und wieder hob sich ein Laut über die anderen hinweg, wie das schrille Lachen eines Kindes oder ein Ausruf des Zorns, doch meist vermischte sich alles zu einem undefinierbaren Getöse.
    King Edmund bekreuzigte sich langsam. »Gott und der Herr Jesus Christus mögen uns beistehen.«
    »Oh, nun komm schon«, schalt Simon und sah sich mit erwartungsvoll leuchtenden Augen um. »So schlimm ist es auch wieder nicht.«
    »Und wohin jetzt?«, fragte Wulfric. Er tätschelte Grendel beruhigend den Zottelkopf, denn der große Hund drängte sich mit eingeklemmtem Schwanz an seine Herrn. Er schien die Stadt noch weniger zu mögen als King Edmund.
    »Ins Kloster«, antwortete dieser und zeigte in die Richtung, aus welcher der Glockenklang kam.
    »Du weißt, wie ich darüber denke«, entgegnete Losian. »Aber wenigstens zur Klosterkirche sollten wir gehen, denn dort können wir betteln.«
    »Einen schönen Bettler gibst du ab in de Laigles feinem Bliaut«, spottete Regy.
    Losian wusste selbst, dass er Argwohn erregen würde. Und er war auch keineswegs sicher, dass er in der Lage war, sich vor einer Kirche in den Staub zu hocken und den Betern, die aus dem Gotteshaus kamen, flehend die Hand entgegenzustrecken. Aber es war drei Tage her, dass sie in dem niedergebrannten Dorf kampiert hatten, und seither hatte keiner von ihnen etwas gegessen. Der Hunger, nahm er an, würde ihn schon demütig genug machen, um zu betteln.
    »Los, bewegt euch, wir erregen Aufsehen«, murmelte Simon.
    »Aber wieso nur?«, fragte Regy und sah sich herausfordernd um. »Was glotzt du denn so, du hässliche Vettel?«, schnauzte er eine Frau in ärmlichen Kleidern an, die stehen geblieben war, um sie zu begaffen.
    Losian ruckte an der Kette. »Vergebt ihm, Mistress, er kann einfach nicht anders.« Hastig zerrte er Regy die Straße entlang, und die anderen folgten.
    Sie kamen an eine Straßenkreuzung. Rechts führte ein Weg zu der großen steinernen Festung, die Losian für sein Leben gern sehen wollte. Geradeaus ging es weiter zum Fluss und dem Zentrum der großen Stadt, wo das Kloster mit der neuen Kirche lag. Sie sei noch nicht ganz fertig, hatte Simon erzählt, aber bereits geweiht und weit über die Stadtgrenzen hinaus für ihre Pracht und Schönheit berühmt. Der wundervolle weiße Kalkstein, aus dem sowohl die Kathedrale wie auch die Burg gebaut waren, sei eigens aus Caen in der Normandie hergeschafft worden. Losian hatte die vage Hoffnung, dass er selbst, der Junge und vielleicht sogar die Zwillinge auf der Baustelle Arbeit finden würden.
    »Losian«, rief Wulfric hinter ihm; es klang erschrocken.
    Losian wandte sich um. Die Zwillinge waren stehen geblieben und beugten sich über Oswald, der zusammengekrümmt im Straßenstaub lag.
    »Was denn, die nächste Ohnmacht?«, fragte Regy ungläubig. »Ihr seid schlimmer als eine Schar Novizinnen …«
    Losian zerrte ihn mit sich zurück, warf Wulfric die Kette zu und kniete sich hin. »King Edmund, schnell.«
    Oswald hatte die Augen zugekniffen und die linke Hand auf die Brust gepresst. Schweiß stand auf seiner Oberlippe, und er stöhnte.
    Edmund hockte sich neben Losian. »Was ist mit ihm?«
    »Ich weiß es nicht«, murmelte Losian gedämpft. »Es sieht beinah aus wie bei Simon.«
    »Nein«, widersprach dieser. »Er krampft

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