Hiobs Brüder
finden.«
»Nun sind wir so weit gekommen, jetzt können wir die letzten Schritte auch noch gehen«, widersprach Losian. »Vielleicht lebt eins der Schafe noch.«
Alle stimmten beklommen zu. Losian ging mit Regy voraus, und die anderen folgten.
Was sie fanden, war ein Ort der Verwüstung: Die bescheidenen Hütten hatten, umgeben von kleinen Gärten, in einem unordentlichen Halbkreis gestanden. Es waren mehr, als sie aus der Ferne geschätzt hatten, aber die meisten waren zu ein paar geschwärzten Pfählen verbrannt. In den Gärten und auf der Dorfwiese lag zertrampeltes Federvieh. Viele beschlagene Hufe hatten Abdrücke im Schlamm hinterlassen.
Losian kettete Regy an den Stamm einer einzelnen Weide, die am Rand des Dorfplatzes stand, dann teilten sie sich auf und durchsuchten die niedergebrannten Hütten. Anscheinend hatten die meisten Dorfbewohner fliehen können, denn viele Leichen fanden die Wanderer nicht. Aber die wenigen waren grauenhaft zugerichtet. Hinter dem zweiten Häuschen, zu dem Simon und Losian kamen, lag eine tote Frau, deren Bauernkittel aus ungefärbter Wolle in Fetzen um ihre Körpermitte hing, und ihre Augen starrten in den grauen Himmel hinauf. Ihre linke Gesichtshälfte war blutüberströmt und ihre entblößte Brust ebenso.
»Geh ins Haus und sieh, ob du irgendetwas Essbares findest«, sagte Losian. Seine Stimm klang eigentümlich matt.
Simon gehorchte, und er hatte sogar Glück. Er entdeckte ein kleines Fass mit Sauerkohl, das angesengt, aber nicht verbrannt war. Als er mit dem Fässchen unter dem Arm zurück ins Freie kam, hatte Losian das zerrissene Kleid der Toten zurechtgezupft, sodass es ihre Blöße bedeckte, und die Augen geschlossen.
»Was mag hier passiert sein?«, fragte er kopfschüttelnd.
Simon hob die Schultern, wandte sich von der Toten ab, und sie machten sich auf den Rückweg. »König Stephens Truppen kontrollieren Ostengland. Wenn ›kontrollieren‹ denn der richtige Ausdruck ist. Sagen wir, sie sind hier zahlreicher als Mauds Männer, denn deren Rückhalt beschränkt sich inzwischen nur noch auf den Südwesten. Aber es gibt auch hier Leute, die mit ihr sympathisieren. Vielleicht haben diese Bauern einen ihrer Ritter versteckt, der vor Stephens Häschern auf der Flucht war. So sieht es jedenfalls aus. Und dann hat der Earl of Norfolk oder weiß der Henker wer einen Trupp Männer hergeschickt, um sicherzugehen, dass die Bauern es nicht wieder tun.«
»Und das Blöde ist, dass sich das Blatt nächste Woche wenden kann, und dann ist alles andersrum«, sagte Godric, als die Zwillinge und Grendel auf dem Dorfplatz zu ihnen traten. »Der Earl of Norfolk wechselt die Seiten oder wird von Mauds Truppen vertrieben, und dann schlachten sie die Bauern ab, die die Fliehenden aus Stephens Reihen verstecken. Ich sag dir, das geht so schnell, da kann sich kein Mensch mehr auskennen. Und dann gibt es natürlich noch die Lords, die weder Maud noch Stephen dienen, sondern nur ihren eigenen Absichten. Wie de Laigle, zum Beispiel.«
»Was ist das für ein verdammter Krieg, wo Earls die Seiten wechseln und ihre Truppen Bauern abschlachten, statt sich zur Schlacht zu treffen?«, fragte Losian ungehalten.
»Mein Sohn …«, schalt King Edmund mit einem Seufzer überstrapazierter Duldsamkeit.
»Entschuldige«, knurrte der Getadelte abwesend. »Also?«
»Na ja«, antwortete Wulfric. »Ein Bürgerkrieg eben. Einer von der Sorte, wo es keine richtige, sondern nur falsche Seiten gibt. Ich möchte nicht mit den Lords tauschen, ehrlich.«
»Erzählt mir mehr darüber«, verlangte Losian. »Ich habe immer gesagt, dieser Krieg gehe mich nichts an und ich wolle nichts davon hören, aber ich habe das Gefühl, er kommt uns näher.« Er wies auf die verkohlte Bretterwand, in deren Windschatten sie sich nahe der Weide auf die Erde gehockt hatten und ihre Ausbeute betrachteten: das Kohlfass, ein halbes Fass Bier, ein paar durchweichte, angeschimmelte Stücke Brot.
Regy ruckte das Kinn in Simons Richtung. »Erzähl du’s ihm, mein Augenstern. Du kannst das sicher viel bewegender als ich. Aber untersteh dich, deinen angebeteten König Stephen besser zu machen, als er ist, sonst muss ich einschreiten.«
Simon beachtete ihn nicht. Er sah Losian an und hob hilflos die Schultern. »Es ist alles passiert, weil es keinen Thronfolger gab, als der alte König vor zwölf Jahren starb. Nur seine Tochter. Kaiserin Maud.«
»Wieso Kaiserin?«, unterbrach Losian stirnrunzelnd.
»Sie war mit dem deutschen
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