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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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zu, während Losian dem alten Angelsachsen vorsichtig einen Arm um die Brust legte. »Was ist passiert?«, fragte er flüsternd auf Englisch und legte die andere Hand noch behutsamer auf Lukes Bauch.
    »Der komische Mann … er kam und hat Fragen nach ihr gestellt. Wie lange sie schon in meinem Bauch ist, wie sie hineingelangt ist. All das. Dinge, die ihn nichts angehen. Ihre Geheimnisse. Davon … wacht sie immer auf.« Luke war fast unfähig zu sprechen, weil die Furcht ihm die Luft abschnürte.
    »Nur die Ruhe, Luke. Lass mich mit ihr reden.«
    Natürlich wusste Losian ganz genau, dass es keine Schlange gab. Aber er hatte festgestellt, dass er schneller zum Erfolg kam, wenn er die Augen schloss und sich darauf konzentrierte, sie sich vorzustellen. Vor allem durfte er sich nicht dafür genieren, hinter einem weinenden, verrückten, greisen Angelsachsen zu knien, ihn zu wiegen und der eingebildeten Bestie in seinem Leib gut zuzureden und sie zu füttern, indem er Luke Brotstückchen in den Mund schob. Es war ein lächerliches, groteskes Ritual, aber sobald Losian sich das bewusst machte und sich schämte, verloren seine Worte jede Überzeugungskraft für Luke und dessen Schlange.
    Inzwischen hatte er eine gewisse Finesse in dieser skurrilen Kunst entwickelt. Trotzdem dauerte es heute lange.
    Schließlich entspannten sich Lukes Schultern jedoch, und er ließ den Kopf erschöpft gegen Losians Brust sinken. »Danke, Losian. Gott segne dich …« Er war bleich und wirkte zutiefst erschöpft.
    Losian vermied jede rasche Bewegung, als er Luke auf sein Lager hinabdrückte und aufstand. »Ruh dich ein bisschen aus. Und dann geh hinunter in den Garten zu den Gefährten. Sie bringen dich auf andere Gedanken.«
    Luke nickte wortlos, während seine Lider sich langsam schlossen. »Gott segne dich …«, wiederholte er.
    Losian bedeutete dem jüdischen Arzt mit einer Geste, ihn hinauszubegleiten, und sie gingen die Treppe hinunter in den Behandlungsraum, der jetzt um die Mittagsstunde lichtdurchflutet war.
    Josua schenkte Wein aus einem Krug in zwei irdene Becher und stellte einen davon vor Losian auf den Tisch. »Hier. Trinkt das. Ärztliche Anordnung.« Er setzte sich ihm gegenüber.
    Losian hob den Becher mit einem kleinen Lächeln und trank. »Hm. Hervorragend.«
    »Aus Aragon.« Josua trank ebenfalls, und man konnte sein Wohlbehagen sehen, als der tiefrote Tropfen seine Kehle hinabrann.
    »Wo mag das sein?«, fragte Losian.
    »Hm? Aragon? Weit, weit im Süden, wo es fast immer warm ist. Nichts gegen englische Weine, besonders der aus Ely ist gar nicht so übel, aber eine wirklich edle Rebe braucht viel Sonne und heiße Erde, damit der Wein seine heilende Kraft entfalten kann.«
    »Wart Ihr einmal dort?«, fragte Losian neugierig weiter. »In Aragon?«
    »Allerdings. In Kastilien – das ist das Nachbarland – habe ich mein Gewerbe erlernt.«
    »Ihr seid ein weit gereister Mann.«
    »Viele Juden sind das. Denn im Grunde sind wir heimatlos, versteht ihr. Das Land, das Ihr heilig nennt und auf das Ihr Anspruch erhebt, war einmal unser Heiliges Land. Ich schätze, das wisst Ihr aus dem, was Ihr von Eurer Bibel kennt.«
    Losian nickte argwöhnisch.
    Josua betrachtete ihn und lächelte dann flüchtig. »Ihr fürchtet, ich wolle den christlichen Streitern das Recht auf ihr mit so viel Blut erworbenes Königreich im Osten absprechen? Ihr habt recht. Das Land sollte uns gehören. Aber wir haben es verloren − so wie im Übrigen auch ihr es wieder verlieren werdet −, und das jüdische Volk hat sich in alle Winde zerstreut. Aber unser Gott, unsere Sprache und unsere Traditionen sorgen dafür, dass wir einander verbunden bleiben, und ganz gleich, in welchen Winkel der Welt ein Jude kommt, er wird immer einen anderen Juden finden, der ihn willkommen heißt. Viele von uns sind Kaufleute oder reisen, um berühmte Schulen und Lehrer aufzusuchen, denn wir sind ein gelehrtes Volk. Das brachte mich nach Kastilien. Oh, da fällt mir ein …« Er stand auf, ging an eine verschlossene Truhe neben der Tür, öffnete sie umständlich mit einem angerosteten Schlüssel und holte einen schweren, rechteckigen Gegenstand heraus, der in ein weiches Tuch geschlagen war. »Es ist ein Buch«, erklärte er, während er es auf dem Tisch ablegte und auswickelte. »Ein altes Buch mit Gedichten und Geschichten über die Kriege der Angelsachsen gegen die Dänen und so weiter. Eine normannische Dame gab es mir einmal als Honorar. Ich habe King Edmund

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