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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Losian auf der Schwelle sah.
    »Verzeiht, wenn ich Euch erschreckt habe«, bat er.
    Sie ging nicht darauf ein, sondern zeigte mit einem langen, schmalen Zeigefinger zur Truhe hinüber. »Euer Gewand, Monseigneur. Sauber und ausgebessert.«
    »Das war sehr gütig von Euch.« Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie ihm zürnte, und konnte sich nicht vorstellen, warum. »Ihr habt gewiss genug zu tun, ohne Euch um die Garderobe der eigenartigen Gäste Eures Vaters kümmern zu müssen.«
    »Oh, das macht mir nichts aus«, gab sie zurück. Ihre Stirn war leicht gerunzelt, und davon kräuselte sich ihre schmale Nase. Es sah hinreißend aus und milderte ihre Erhabenheit, die ihn gleichzeitig erschreckte und magisch anzog. »Wie Ihr ja bereits festgestellt habt, gehöre ich nicht zu den Frauen, die ihre Tage vor dem Spiegel verbringen und sich bunte Bänder ins Haar flechten, sondern ziehe es vor zu arbeiten.«
    Er machte einen Schritt auf sie zu. »Womit habe ich Euch gekränkt, Miriam? Sagt es mir. Ich fürchte, dass ich neben vielen anderen Dingen auch die Regeln guten Benehmens vergessen habe.«
    Miriam schüttelte langsam den Kopf. Dabei hielt sie die Lider halb gesenkt, und Losian ergötzte sich am Anblick der langen, schwarzen Wimpern. »Ihr habt mich nicht gekränkt, Losian.« Es war das erste Mal, dass sie den Namen aussprach, der nicht der seine und ihm doch so vertraut wie der Anblick seiner Hand geworden war, und es berauschte ihn, sie dieses Wort sagen zu hören, so als mache es sie zu Verschwörern, zu Hütern eines Geheimnisses, von dem niemand sonst etwas ahnte.
    »Euer Freund Oswald hat Moses erzählt, dass Ihr nicht wisst, wer Ihr seid«, sagte sie.
    Er nickte und wunderte sich, dass er nicht beschämt die Augen niederschlug. Aber er schämte sich nicht. Und er konnte auch den Blick nicht von ihr abwenden. »Es ist wahr.«
    »Und dass Ihr verzweifelt darüber seid«, fügte sie hinzu.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Oswalds Vokabular über dieses Wort verfügt.«
    »Vielleicht nicht. Aber er versteht es dennoch, sich verständlich zu machen.«
    Er nickte wieder.
    »Ich habe darüber nachgedacht«, bekannte sie zögernd. »Und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Euch beneide.«
    »Wirklich? Ich finde nichts, nicht das Geringste an mir, wofür man einen Mann beneiden könnte.«
    »Ist Euch noch nie in den Sinn gekommen, dass Gott Euch vielleicht ein großes Geschenk gemacht hat? Welch eine Chance Ihr bekommt, weil Ihr wählen könnt, wer Ihr sein wollt? Keine Vergangenheit, kein Name, keine familiären Verpflichtungen binden Euch. Ihr könnt … Euch selbst erfinden. Und der sein, der Ihr sein wollt. Ihr seid … frei.«
    Und wurzellos und namenlos, dachte er. Ein Niemand. Und doch faszinierte ihn, was sie gesagt hatte. Dieser Blickwinkel war ihm vollkommen neu. Und er war nicht ohne Reiz, stellte er fest. Doch was er sagte, war: »Ich kann nicht glauben, dass Ihr den Wunsch verspürt, Euch selbst neu zu erfinden. Wer Euch anschaut, sieht eine Frau, die in sich selbst ruht.«
    »Wer mich anschaut, sieht eine Frau, die gelernt hat, sich zu beherrschen«, widersprach sie scharf, und dann fügte sie mit einem bitteren kleinen Lächeln hinzu: »Jedenfalls meistens.«
    »Tja.« Losian lehnte sich mit der Schulter unauffällig an den Türpfosten, denn er litt gelegentlich immer noch unter Schwindel. Ob das an den Folgen des hohen Blutverlusts lag oder an dieser unerwarteten Begegnung, vermochte er nicht zu entscheiden. »Mir will scheinen, dass einem meist nichts anderes übrig bleibt.« Er hob die Hand zu einer vagen Geste. »Euer Vater erwähnte den Tod Eurer Mutter und Eures Verlobten. Es tut mir leid.«
    Sie sah ihm unverwandt in die Augen. »Aber ich nehme an, in seiner Güte hat er vergessen zu erwähnen, dass ich meinen Verlobten auf dem Gewissen habe.«
    Losian löste sich vom Türrahmen und trat zwei Schritte auf sie zu. »Wieso glaubt Ihr das?«
    »Weil es die Wahrheit ist.« Miriam wandte sich ab und nickte zur Truhe hinüber. »Es war nicht ganz einfach, das viele Blut herauszubekommen. Ich hoffe, das Tuch hat nicht gar zu sehr gelitten.«
    Der abrupte Themenwechsel irritierte ihn, doch er erwiderte: »Ohne Blut ist das Gewand allemal besser als mit, so viel ist sicher.«
    Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ich muss gehen«, sagte sie. Hörte er leises Bedauern in ihrer Stimme, oder bildete er sich das ein, weil er es hören wollte? »In einer halben Stunde beginnt der Sabbat, und ich

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