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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Vormittag war verhangen und kühl, aber trocken, und auf dem Rasen warfen Oswald und Moses sich einen Ball zu. Jedes Mal, wenn Oswald ein Fang glückte, jauchzte er. Das wiederum amüsierte seinen Spielgefährten. Obwohl sie kaum ein Wort miteinander reden konnten, waren Moses und Oswald recht gute Freunde geworden.
    Losian saß auf der Bank und schaute ihnen zu. Simon und die Zwillinge traten zu ihm.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte Wulfric.
    »Lebendig«, antwortete Losian mit einem kleinen Lächeln und rückte zur Seite, um ihnen Platz zu machen. »Ich sehe, ihr habt euch entschieden.«
    Die Zwillinge setzten sich neben ihn und nickten. »Wir tun’s nicht«, erklärte Godric.
    Simon ließ sich auf dem letzten freien Stück Bank nieder. »Es wäre besser gewesen, Josua hätte euch nicht gefragt. Es ist eine teuflische Wahl, vor die er euch stellt.«
    »Das ist meine Schuld«, bekannte Losian. »Er hat mich um Rat gebeten, ob er euch diese … wie heißt das? Operation?« Und als die Zwillinge wiederum stumm nickten, fuhr er fort: »… diese Operation vorschlagen soll. Ich habe geantwortet, dass ihr das nur selbst entscheiden könnt.«
    Wulfric seufzte. »Du hast natürlich recht. Aber übermäßig dankbar bin ich dir nicht.«
    »Ich werde vermutlich auch das überleben …«
    »Ja, spotte nur, Losian. Wahrscheinlich hältst du uns für Feiglinge. Aber du kannst das nicht verstehen. Niemand kann das verstehen. Gott hat uns so in die Welt geschickt. Wir fürchten uns davor, dass er uns anders nicht will. Dass er einen von uns draufgehen lässt, wenn wir’s versuchen. Dass wir …«
    Er brach ab, aber Simon konnte sich vorstellen, was Wulfric meinte: Die Zwillinge hatten sich ihr Leben lang in vieler Hinsicht als nur ein Wesen betrachtet. Gewiss, sie hatten zwei Körper, vier Arme und Beine, zwei Herzen und zwei Köpfe. Aber sie hatten vom ersten Atemzug an alles gemeinsam getan. Jede Kinderkrankheit, jeden Freudentag, jeden Kummer, jeden Triumph und jede Niederlage geteilt. Die Vorstellung, diese Einheit zu verlieren, erschreckte sie. Und die Möglichkeit, die andere Hälfte vielleicht ganz zu verlieren, erst recht.
    »Ich halte euch nicht für Feiglinge«, widersprach Losian. »Mir scheint eher, ihr selbst tut das, und das ist albern.«
    »Er hat recht«, stimmte King Edmund zu, der unbemerkt zu ihnen getreten war und nun hinter den Zwillingen stehen blieb, um jedem eine Hand auf die Schulter zu legen. »Ihr selbst kennt die Gründe für eure Entscheidung am besten und solltet sie nicht in Zweifel ziehen. Und das Argument, dass Gott euch so und nicht anders auf die Welt geschickt hat, ist nicht von der Hand zu weisen.«
    »Ja, schon, King Edmund«, sagte Wulfric unsicher. »Aber was ist, wenn Gott uns auch Josua ben Isaac geschickt hat, um uns von unserem Schicksal zu erlösen?«
    »Wenn Gott meint, achtzehn Jahre war lange genug?«, warf Godric ein.
    »Wenn er zum Beispiel will, dass einer von uns oder wir beide heiraten und Familien gründen?«, fuhr sein Bruder fort.
    »Oder er beschlossen hat, dass ich nächstes Jahr irgendwann in einen rostigen Nagel trete und Fieber kriege, mein Bruder aber wegen meiner Unachtsamkeit nicht mit mir krepieren soll?«, schloss Godric.
    King Edmund hob die Linke, als wolle er ihre Einwände fortschieben. »Ganz gleich, was ihr tut, ihr seid in seiner Hand. Das sind wir alle. Ihr habt Für und Wider abgewogen und eure Entscheidung getroffen, und nun solltet ihr aufhören, euch damit zu quälen. Denn es ist immer sein Wille, der geschieht, vergesst das nicht.«
    »Ich weiß nicht«, murmelte Simon zweifelnd. »Du meinst, Gott hat Godric und Wulfric in dieses Haus geführt und vor diese Wahl gestellt, um dann doch zu bestimmen, dass sie so bleiben sollen, wie sie sind? Ist das nicht …« Er biss sich auf die Lippen. »Fall nicht über mich her, King Edmund, aber ist das nicht grausam von Gott?«
    King Edmund lächelte milde. »Manchmal kommt er uns so vor, weil wir seinen Plan nicht durchschauen können. Dafür sind wir zu gering, zu klein, und sein Plan ist zu groß.«
    Der Ball kam mit einigem Schwung herübergeflogen. Godric und Wulfric duckten sich, Losian hob instinktiv die Hände und fing ihn auf. Moses und Oswald kamen angelaufen, beide außer Atem.
    Oswald streckte die Arme aus. »Gib ihn mir!« Seine Augen leuchteten.
    Losian warf ihm den Ball zu. »Aber nur noch ein kleines Weilchen«, mahnte er. »Vergiss nicht, was Josua ben Isaac gesagt hat: Du darfst nicht rennen

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